China-Reise Mai/Juni 2013: Erfahrungen aus Basis-Kontakten

Zu einem Austausch über Erfahrungen der Arbeiterbewegung reisten aus Deutschland drei ehemalige Betriebsratsmitglieder aus Großbetrieben der Automobil- und der Chemieindustrie und drei gewerkschaftsnahe Menschen aus Wissenschaft und Bildungsarbeit im Mai/Juni 2013 nach China.

Es handelte sich um folgende Personen:

  • Peter Franke, Bochum, Sozialwissenschaftler, Forum Arbeitswelten
  • Fritz Hofmann, Ludwigshafen, IGBCE, ehem. Betriebsrat bei BASF
  • Hans Köbrich, Berlin, AK Internationalismus der IG Metall und ehem. Betriebsrat bei BMW
  • Wolfgang Schaumberg, Bochum, GOG, IG-Metall, ehem. Betriebsrat bei Opel
  • Ingeborg Wick, Bonn, ehem. Mitarbeiterin beim SÜDWIND Institut, Schwerpunkt Weltwirtschaft, Frauen und Arbeitsbedingungen
  • Bodo Zeuner, Berlin, Prof. a. D. für Politikwissenschaft, Gewerkschaftsforscher

Alle waren mit dem Forum Arbeitswelten schon einmal in China gewesen und hatten sich in Deutschland an Aktivitäten beteiligt, die den Erfahrungsaustausch und die Solidarität mit Menschen in China in den Mittelpunkt stellen.

In diesem Rahmen waren seit 2005 vielfältige Kontakte zwischen Aktiven aus den Gewerkschaften, arbeitsbezogenen NGOs und WissenschaftlerInnen in beiden Ländern entstanden. In den letzten Jahren wuchs nach Besuchen in Deutschland das Interesse auf der chinesischen Seite, die Geschichte der Arbeiterbewegung in Europa, die Mechanismen der Arbeitsbeziehungen in einer traditionellen kapitalistischen Industrienation sowie die Bedingungen für Arbeitskämpfe in Deutschland im globalen Kontext noch besser zu verstehen. Es entstand die Idee, in China Workshops und Diskussionen zum „Modell Deutschland“, das immer öfter als Vorbild für eine „harmonische Gesellschaft“ angesehen wird, zu veranstalten. Es sollte von Problemen und Konflikten aus dem Alltag des kapitalistischen Arbeitslebens ausgegangen werden und von dort auf die geschichtlichen, politischen und ökonomischen Bedingungen der Entwicklung und Veränderung deutscher Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit geblickt werden. Dabei wurde angenommen, dass die Alltagsprobleme von Beschäftigten in den Betrieben in Deutschland wie in China oft sehr ähnlich sind, zugleich aber die Mechanismen der Austragung und Regulierung von Konflikten und die institutionellen Bedingungen sich erheblich unterscheiden. Zugleich lag uns daran, einer Idealisierung der deutschen Zustände und Institutionen, insbesondere der „Sozialpartnerschaft“, ebenso entgegenzutreten wie der Vorstellung, kapitalistische Unternehmen könnten allein durch guten Willen und von ihnen selbst kontrollierte Verpflichtungen („Corporate Social Responsibility“) zur Achtung von Menschen- und Lebensrechten veranlasst werden. Zugleich wollten wir keineswegs leugnen, dass die Arbeiterbewegung in Deutschland und Europa bestimmte, allerdings stets gefährdete, sozialstaatliche Sicherungen und Rechte errungen hat, die in China noch nicht oder nicht mehr (z. B. Streikrecht) bestehen. Mit einem weiteren Fokus auf der Genderthematik entsprachen wir dem Interesse unserer chinesischen PartnerInnen an einem Austausch über die genderspezifischen Entwicklungen und Maßnahmen gegen die Frauendiskriminierung in der Arbeitswelt beider Länder.

Zur Vorbereitung unseres Vorhabens schickten wir im Frühjahr 2012 einen Vorschlag an die Personen und Gruppen in China, die wir aus vorangegangenen Begegnungen kannten. Es handelte sich um engagierte WissenschaftlerInnen und Studierende (vor allem in Beijing und Guangzhou), aufgeschlossene Gewerkschafter, Gruppen von ArbeitsmigrantInnen und labour activists[1] in Guangzhou, Hong Kong, Beijing, Wuhan, Suzhou, Yantai und Xiamen. Sie alle hatten Interesse an einem weiteren Austausch in China bekundet. Unser Reiseprogramm orientierte sich an den von unseren Partnergruppen artikulierten Wünschen und Fragen zum „deutschen Modell“.

In den drei Wochen fanden Begegnungen mit insgesamt 22 Organisationen, Institutionen, informellen Gruppen und Einzelpersonen in Beijing, Wuhan, Suzhou, Guangzhou (Kanton) und Hong Kong statt. Diese hatten unterschiedlichen Charakter: längere Workshops/Seminare (4), Vorträge mit anschließenden Diskussionen (5), Gespräche mit Aktionsgruppen und Austausch mit den MitarbeiterInnen aber auch einigen herausragenden Einzelpersonen (Gu Zhenghua, Chen Weiguang), sowie informelle Zusammenkünfte. Eine erste Auswertung versuchten wir bereits zum Abschluss der Reise in Hong Kong bei Treffen mit Globalization Monitor, dem langjährigen, engen Partner des Forums Arbeitswelten.

Zur inhaltlichen Vorbereitung der Reise traf sich die Gruppe mehrmals. Es wurde u.a. eine Textsammlung (Reader) auf Chinesisch und auf Deutsch erstellt, die unter dem Titel „Zur sozialen Situation in Deutschland“ das uns wichtige Wissen enthielt. Dieser Reader wurde den chinesischen Partnern vorher zugeleitet. (Er ist auf dieser Webseite des Forum Arbeitswelten auf deutsch und chinesisch abrufbar.) Wir konnten dabei auf Artikel zurückgreifen, die schon vom Forum Arbeitswelten ins Chinesische übersetzt worden waren sowie auf den in China erschienenen Bericht von Gewerkschaftern und Wissenschaftlerinnen über „eine Reise durch Deutschlands Fabriken“ aus dem Jahr 2008 (ebenfalls auf der website abrufbar). Einige wichtige aktuelle Artikel mussten allerdings auch neu geschrieben (von Fritz Hofmann, Hans Köbrich, Ingeborg Wick und Bodo Zeuner) und übersetzt werden.

Die Kosten der Reise einschließlich Vorbereitungen und Übersetzungen, die den Eigenbeitrag der TeilnehmerInnen von insgesamt 3600 € überstiegen, wurden von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt übernommen.

Der folgende chronologische Bericht basiert auf den Protokollen, die von den Mitgliedern der Reisegruppe aus den 22 Begegnungen erstellt wurden. Dabei wurde anonymisiert, wo es möglich und notwendig erschien. Rein fallbezogene Details wurden weggelassen, sofern sie nicht Exemplarisches zeigen.

Dieser Bericht soll für interessierte LeserInnen vor allem dokumentieren, was wir über den Stand der Entwicklung von Arbeitswelten, Arbeitsbeziehungen und Arbeiterbewegung in China erfahren haben. Auch wenn unsere eigenen Beiträge während der Reise die Situation in Deutschland zum Thema hatten, ergab sich, und das war gewollt, ständig die Möglichkeit zum Vergleich, und im übrigen waren wir ja alle vor wenigen Jahren schon einmal zu verwandten Themen in China unterwegs gewesen und deshalb neugierig, was sich bewegt und verändert hatte. Oft erfuhren wir auch aus den Fragen und Nachfragen unserer Partnerinnen und Partner zu Deutschland sehr viel über die Situation in China.

Auf Analysen und Generalisierungen wollen wir in diesem Bericht verzichten. Vielmehr soll diese komprimierte Protokollsammlung es auch uns selber erleichtern, im nächsten Schritt thematische Analysen zu verfassen, etwa über

  • Entwicklung der Gewerkschaften und der Labour NGOs in China,
  • Wie ist internationale Solidarität der abhängig Arbeitenden möglich?
  • Gender und Arbeitswelten,
  • Arbeitsmigration in China und Europa,
  • CSR der Unternehmen in China – Chance oder Propaganda?
  • Kollektivverhandlungen in China: IG Metall als Vorbild?
  • Kapitalismuskritische Gruppen in China.

Für diese Analysen brauchen wir aber noch ein wenig Zeit.
Gegliedert ist der Bericht nach den 5 Stationen unserer Reise: 1. Beijing – 2. Wuhan –
3. Suzhou – 4. Guangzhou (Kanton) – 5. Hong Kong.

Zum Gesamtbericht

[1] Eine passende deutsche Übersetzung für diesen Begriff haben wir nicht gefunden. Es geht um Personen, die sich aktiv für die Interessen abhängig Arbeitender einsetzen. In Deutschland würden wir wohl von „gewerkschaftlich Aktiven“ sprechen, aber zur chinesischen Situation gehört, dass dort die Gewerkschaften ihre Aufgaben nicht oder sehr ungenügend wahrnehmen, weshalb NGOs, die mit den offiziellen Gewerkschaften nichts oder wenig zu tun haben, oft ihre Aufgaben übernehmen.