Bleibende Unruhe in Hongkong

Die Situation bleibt gespannt. Die Bilder der Livestreams der Unruhen gehen um die Welt. Sie ähneln den Bildern aus Moskau und aus Paris. Es wurde unlängst zugegeben, daß es sich nicht mehr um einen reinen Protest gegen das Auslieferungsgesetz handelt, das bereits von Regierungschefin Carrie Lam für "tot" erklärt worden ist. Es ist eine Erruption allgemeiner Unzufriedenheit und eine soziale Revolte, insbesondere der jungen Generation in prekären Arbeits- und Lebensbedingungen. Die Stadt beherbergt über zweihunderttausend Millionäre, dennoch lebt  ein Fünftel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Auf einen  Arzttermin wartet man in den öffentlichen Krankenhäusern rund drei Jahre. Als "eine Generation ohne Perspektive" beschrieb ein junger Hongkonger die Demonstranten, die nun ihre Wut auf die Regierung und die Polizei richten. Die Forderungen nach dem Rücktritt der Regierungschefin erinnert ebenso an die Gilets Jaunes, wie das Verhalten der Polizei, die sich inzwischen genauso der Tränengasgranaten und Gummigeschosse bedienen, wie ihre französichen Kollegen. Die Hongkonger Polizei erklärte, auch nicht mehr Gewalt  eingesetzt zu haben, als in Europa bei derlei Anlässen üblich.

Einem Teil der Protestierenden ist die Ähnlichkeit der Kämpfe bewußt

War bei den sogenannten Regenschirmdemos von 2014 noch Instagram das  Mittel der Wahl zur Vernetzung (mittlerweile in China verboten),  griffen die Protestierenden nun auf den verschlüsselten  Messengerdienst Telegram zurück. Im Zusammenhang mit Protesten in  Hongkong ist es immer wieder zu großangelegten Angriffen auf das Medium gekommen. Eine DDoS-Attacke in diesem Umfang bezeichnete Telegram-Chef  Durov als  staatlich gelenkt.

Carrie Lam bleibt in der Situation weitgehend abgetaucht, um nur gelegentlich der Presse gegenüber die Gewalt der Demonstranten zu verurteilen. Peking hat indirekt mit der Entsendung chinesischen Militärs gedroht, indem ein Sprecher des Verteidigungsministeriums auf einen Gesetzesartikel verwies, der die Möglichkeit eines Militäreinsatzes vorsieht. Doch in Zeiten wachsender wirtschaftlicher Probleme und des Handelskonflikts mit den USA, will man weitere schwer kalkulierbaren Risiken vermeiden und versucht die Bevökerung Festlandchinas von den Nachrichten aus Hongkong abzuschotten und die Proteste in der Sonderverwaltungszone mit wachsender Repression und Langmut zur Ermüdung zu bringen.

Die Teilnehmer der Unruhen haben keinerlei Hoffnung, Hongkongs relative Unabhängikeit von Peking auf Dauer verteidigen zu können. Sie kämpfen ohne eine Utopie, sie fühlen sich gedemütigt durch ihren tristen Alltag in der glitzernden Finanzmetropole und durch die Übergriffe der Polizei, als sie gemeinsam ihre Stimme erhoben. Daß die Mischung aus Hoffnungslosigkeit und Wut zu anhaltenden Kämpfen führt, überrascht die Behörden, genauso wie die Demonstranten selbst. Sie waren in ihren Jobs Freelancer, Scheinselbstständige, in Homeoffice-Jobs, als Jobber in der Gig-Economy vereinzelt und fühlten sich wehrlos. Auf der Straße erkannten sie ihre Kraft in ihrem gemeisamen  Auftreten und sind nicht mehr bereit, vereinzelt in das Gefühl der Wehr- und Bedeutungslosigkeit zurückfallen. Sie diskutieren die Möglichkeiten wirkungsvollerer Auseinandersetzungen und der Solidarität gegen Polizeigewalt.

Gilets Jaunes - Hongkong - der gleiche Kampf (Paris)

Die Gegenseite versucht mit modernen Technologien und traditonellen Strategien der Aufstandsbekämpfung der Situation Herr zu werden. Gegen eine biometrische Gesichtserkennug tragen die Demonstranten die ohnehin verbreiteten Atemschutzmasken.

(Ergänzung vom 28.8.2019) Demonstranten trotzen den High-Tech Mitteln der Überwachung mit zeitgemäßen Gegenstrategien.

(Fortsetzung vom 26.9.2019) Die westlichen Medien sind nicht zimperlich beim Vereinnahmen der Proteste. Es ist schon erstaunlich, wie militante Straßenproteste als mutiger Freiheitskampf beschrieben werden.

Spiegel online applaudiert
Bei den G20 Protesten wurden ähnliche Bilder anders betextet

Solche Berichte machen natürlich stutzig und viele fragen sich, wie man die Unruhen denn einschätzen soll. Schließlich sind es nicht allein die westlichen Medien, die hier ihr Süppchen kochen, es gibt auch Einflußnahme auf die Proteste und es gibt widersprüchliche Tendenzen innerhalb der Bewegung. Es sind dort auch rechte Gruppen aktiv.  Das erinnert auch an die französiche Bewegung der Gelbwesten. Die Chinesische Regierung arbeitet mit Provokateuren und die Einmischung Groß Britanniens und der Vereinigten Staaten ist offensichtlich. Solche Bilder können verwirren:

Für wessen Freiheit wird hier gekämpft?

Doch trotz des großen Aufwands gelingt es diesen Kräften nicht, die Bewegung zu Kontrollieren. Es gibt keine Führung, kaum organisierte Kräfte, die Bewegung funktioniert horizontal, man koordiniert sich über die sozialen Medien, z.B. über Facebook- oder Telegram-Gruppen, in denen teilweise Zehntausende Mitglied sind. Sie bleibt der Ausdruck der Unzufriedenheit der Bevölkerung. Es bleibt im Wesentlichen eine emanzipatorische Bewegung für Demokratie, für Selbstbestimmung. Die Bewegung fordert neben der Rücknahme des Auslieferungsgesetzes, dem Ende der Polizeigewalt und einer unabhängigen Untersuchung der Polizeigewalt auch ein allgemeines Wahlrecht und freie Wahlen. Vor dem Hintergrund der fortwirkenden Kolonialgeschichte Hongkongs und angesichts der Tatsache, dass freie Wahlen bis heute nicht verwirklicht sind, sind diese Forderungen berechtigt. Trotz der gravierenden sozialen und ökonomischen Probleme in Hongkong werden sozioökonomische Themen von der Bewegung kaum aufgegriffen.

In Frankreich hat man scheinbar weniger Probleme mit den militanten Protesten gegen Regierung und Polizeigewalt und die Giletes Jaunes nehmen Bezug auf die Proteste in Hongkong.

Mit dem Symbol Hongkongs auf dem Banner

Die Bewegung in Hongkong hat sich in drei Phasen entwickelt. In der ersten Phase von März bis Juni 2019 haben die liberalen Parteien dominiert. In der zweiten Phase wurde die Bewegung zu einer wirklichen Massenbewegung und nicht mehr auf Studierende bzw. junge Menschen beschränkt. In diese Phase fiel auch der Generalstreik vom 5. August, der erste erfolgreiche politische Streik in der Geschichte Hongkongs.

Vor allem Beschäftigte der Cathay Pacific Fluglinie sind dem Streikaufruf gefolgt, der international wichtige Flughafen ist weitgehend lahmgelegt worden, was eine massive Reaktion der chinesischen Regierung mit Drohungen gegenüber der Cathay Pacific Fluggesellschaft provoziert hat. Infolgedessen ist das Topmanagement von Cathay Pacific zurückgetreten. Der Versuch eines weiteren politischen Streiks hatte keinen Erfolg wegen massiver Einschüchterung der Beschäftigten und drohende Arbeitsplatzverluste.

Bruce Lee, Griechenland, Frankreich und Hongkong in Solidarität vereint

Die Bewegung geht weiter und ist in eine dritte Phase eingetreten, die gekennzeichnet ist durch den Schritt der Bewegung, sich von der Ideologie der Gewaltlosigkeit zu verabschieden und man nun die Polizeigewalt mit Gegengewalt bekämpft. Es sind tausende junger Leute, Studierende und auch junge Arbeiter, die in vorderster Front zur unmittelbaren Konfrontation mit der Polizei zur Besetzung öffentlicher Gebäude bereit sind. In Frankreich sieht man sich inspiriert von der Bewegung in Hongkong und zeigt dies auch in ihren Protestformen:

Regenschirmprotest in Nantes

Globalisierung bedeutet nicht nur weltumspannende Strategien des Kapitals, auch der Widerstand überwindet Grenzen und lernt international zu kämpfen.