Chinabilder
China ist heute nicht mehr so unerreichbar, wie in den 60er Jahren, in denen es eine Projektionsfläche für linke Hoffnungen darstellte. Es sollte Interessierten bekannt sein, daß die Chinesische Regierung mit Polizeigewalt gegen Arbeitskämpfe vorgeht, Arbeiteraktivsten mit Repression begegnet und selbst gegen studentische Lesegruppen gewaltsam vorgeht, die sich für Marx Origanaltexte mehr interessieren, als für die Interpretationen, die die Partei ihnen für das Studium vorlegt. Es sind aber nicht nur Altlinke, die von ihrem positiven Bild der Kommunistischen Partei Chinas nicht trennen können.
Von dem relativ jungen Autoren Marcel Kunzmann klingt es ähnlich in seinem Buch "Theorie, System & Praxis des Sozialismus in China". Aus dem Klappentext:
Das bevölkerungsreichste Land der Welt konnte in den vergangenen 40 Jahren beispiellose Erfolge bei der Bekämpfung der Armut erreichen, gleichzeitig wird die sozialistische Orientierung der Volksrepublik seit Beginn der Politik von Reform und Öffnung im Jahr 1978 von Teilen der europäischen Linken in Frage gestellt. Neue Widersprüche sind entstanden, die das „Jahrhundertprojekt“ der sozialistischen Transformation in China prägen.
Der Rezensent Florian Adler kommentiert die Haltung Kunzmanns mit deutlichen Worten:
Kunzmann macht sich in diesem Buch zum Befürworter der „sozialistischen Marktwirtschaft“ und haut damit in dieselbe Kerbe, wie mittlerweile jeder marxistische Ökonom. Damit stimmen sie auch der bürgerlichen Ökonomie überein: Planwirtschaft ist unproduktiv. China öffnete seinen Markt ausländischem Kapital, richtete Staatskonzerne auf die internationale Konkurrenz aus, liberalisierte die Wirtschaft und holte damit hunderte Millionen Menschen aus bitterster Armut – so der Mythos. Nun scheren sich bürgerliche Ökonomen wenig darum, ob China damit der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft gelingt. Für Kunzmann ist die Sache ziemlich klar: die Geschichte Chinas beweist, der eingeschlagene Weg ist der für China korrekte Weg. Erst müssen 100 Jahre Kapitalismus nachgeholt werden (unter angeblicher Führung des Staatssektors), dann kann man auch nur ansatzweise an den Sozialismus denken. China mag in technologischer und infrastruktureller Hinsicht viele Fortschritte gemacht haben, doch lässt sich mit Blick auf die gesellschaftlichen Realität sehr leicht erkennen, wer davon v.a. profitiert hat: Groß- und Kleinbürgertum – sprich Kapitalisten. Nie war die Kluft zwischen Armen und Reichen in China so groß. (...) Heute wird in China keine einzige Schule mehr gebaut, wenn sie sich nicht selbst als rentabel herausstellt. Die Konsequenz: viele Einrichtungen – gerade auf dem Land – zerfallen. Kommt einem hier in Deutschland irgendwie bekannt vor… An dieser Stelle ein Buch-Tipp: Zhun Xu, From commune to capitalism. Xu zeigt, dass die Rücknahme der Kollektivierung nicht ohne Widerstand vonstattenging und von Anfang an die Liquidierung des sozialistischen Aufbaus in China zum Ziel hatte. Soviel zu Chinas Geschichte. Kunzmann verklärt Chinas Aufstieg zur imperialistischen Weltmacht als Weg zum Sozialismus. Wie ist sowas möglich, frage ich mich? Es sollte gerade bei marxistischen Ökonomen wieder eine Diskussion darum geführt werden, was Sozialismus eigentlich ist.