Hongkonger Lehrergewerkschaft von KPCh zerschlagen

Bericht und Einordung der Ereignisse von Borderless Movement:

Parteimedien verhängen Todesurteil über Lehrergewerkschaft

Der HK-Rechtsstaat ist tot, der Widerstand aber nicht

Borderless Movement, Hongkong 12. August, 2021
Trotz ihrer Rhetorik über die Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit gibt es keine Organisation in China, die dem Rechtsstaat mehr schadet als die Komunistische Partei. Das Sprachrohr der Partei, die Volkszeitung, veröffentlichte einen Kommentar, in dem sie Hongkongs größte Gewerkschaft - die Professional Teachers' Union (PTU) - vorwarf, "anti-chinesische Aktivitäten zu fördern, die Hongkong durcheinander bringen" und somit ein "Tumor sei, der ausgemerzt werden müsste“. Angesichts dieser erfundenen Anschuldigungen staatlicher Medien kündigte das Bildungsministerium der Regierung von Hongkong an, die PTU nicht mehr als Berufsorganisation anzuerkennen, und deutete an, dass Lehrer nicht ihre Mitglieder sein sollten. Diese Schritte im Rahmen des seit über einem Jahr geltenden Nationalen Sicherheitsgesetzes haben die Oppositionellen bereits kriminalisiert und die PTU zu der Entscheidung gezwungen, sich am 10.
August 2021 aufzulösen. Dies ist eine große Niederlage sowohl für Hongkongs Zivilgesellschaft als auch die Arbeiterbewegung, die eine der Säulen der demokratischen Bewegung Hongkongs war.
Die Regierung von Hongkong und das Peking-freundliche Lager greifen seit langem grundlegende Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit an, um die Opposition von Wahlen oder jeglicher öffentlicher Einflussnahme zu verdrängen. Eine ganze Weile lang konnten erfundene Anschuldigungen von Bloggern oder Autoren, die Peking unterstützen, sofort die Aufmerksamkeit der Strafverfolgungsbehörden schnell auf sich ziehen und sogar zu Verfolgung führen, bevor ein formelles Gerichtsverfahren eingeleitet wurde. Jetzt, mit dem Gewicht der Volkszeitung, hat diese Art der außergerichtlichen Verfolgung eine neue Dimension erreicht – die KPCh könnte genauso gut das Grundgesetz und die Gesetze von Hongkong durch ihre Medien ersetzen.
Anstelle des Rechtsstaats hat die KPCh eine lange Tradition der „Herrschaft durch die Medien der Partei“. Während des Großen Sprungs nach vorn verachtete Mao Zedong öffentlich die Rechtsstaatlichkeit. Er sagte: „Die Mehrheit der Menschen kann einfach nicht vom Gesetz regiert werden. Es gibt so viele Artikel im Zivil- und Strafrecht, wer kann sie sich alle merken? Ich habe zwar an der Ausarbeitung der Verfassung mitgewirkt, kann mich aber auch nicht an alle Einzelheiten erinnern. Darauf verlassen wir uns im Grunde nicht, sondern hauptsächlich auf (Partei-)Beschlüsse und (Partei-)Treffen.“ Mao sagte sogar: „Wir brauchen die Herrschaft der Menschen, nicht die Rechtsstaatlichkeit. Ein Leitartikel in der Volkszeitung würde landesweit umgesetzt, daher bedarf es keiner Gesetze.“1
Nach Maos Tod wurden die von Mao verfolgten Kader-Veteranen „befreit“. Ihr neuer Führer Deng Xiaoping forderte daraufhin rhetorisch den Rechtsstaat. Doch sehr schnell versuchte er, den Pekinger Frühling zu verbieten, und unterdrückte dann 1989 die demokratische Bewegung. Die Ära nach Deng bewegte sich in Richtung zu mehr willkürlichenVerhaftungen. Mit der Machtübernahme
von Xi wurde die Praxis einer sogenannten „Roten-Warnlinie“-Politik bald landesweit umgesetzt.
Die Bürger sind nicht nur verpflichtet, das Gesetz zu befolgen, sondern auch die „roten Linien“, die von jedem Parteiführer oder ihren Medien gezogen werden, die einseitigen Änderungen unterliegen.
Es bedeutet in der Praxis, das Gesetz durch die willkürliche Herrschaft der Parteiführer zu ersetzen.
Eine Nation, die die Volkssouveränität in ihrer Verfassung (einschließlich der chinesischen) festschreibt, würde ihren Bürgern das Recht geben, ihre Regierung zu wählen, die jedoch verpflichtet ist, sich an die von den Volksvertretern gemachten Gesetze zu halten. Wir wissen nur zu gut, dass die politische Klasse auch mit diesem Regime der repräsentativen Regierung dazu neigt, ihre Macht zu missbrauchen, so dass die Bürger daher auch das Recht auf zivilen
Ungehorsam haben müssen, um sich vor Willkürherrschaft zu schützen.
Die KPCh hat alles auf den Kopf gestellt. Die Bürger werden soweit von Parteifunktionären willkürlich beherrscht, die sich an alles halten müssen, was diese sagen, auch wenn es dem Gesetz widerspricht. Bisher war Hongkong mit seiner begrenzten, aber echten Autonomie vor diesem erschreckenden Zustand geschützt. Die Verhängung des Nationalen Sicherheitsgesetzes durch
Peking im vergangenen Jahr hat Hongkongs Autonomie und damit seine Rechtsstaatlichkeit zerstört. Die Zwangsauflösung der PTU ist das jüngste Opfer des Todes der Autonomie Hongkongs unter Pekings Herrschaft.
Diese Form der Verfolgung ist für das Regime sehr bequem. Das Durchlaufen des rechtlichen Prozesses der Strafverfolgung und die Inhaftierung von Menschen im Gefängnis ist sowohl zeitaufwändig als auch zu sichtbar, was Kontroversen nach sich zieht. Es ist viel effektiver, die PTU zu zwingen, sich scheinbar von selbst aufzulösen, indem sie einen Angriff mit den Parteimedien startet. Das Regime rechnet damit, dass bald alle anderen Oppositionsparteien und großen
Bürgervereinigungen nachziehen.
Die Entscheidung der PTU, sich selbst aufzulösen, sollte uns nicht zu der Annahme verleiten, dass dies ein Weg ist, um zu vermeiden, dass alles verloren geht. Am Tag nachdem die PTU ihre Entscheidung bekannt gab, warnte die Volkszeitung die PTU eindringlich, dass mit der Entscheidung lediglich versucht würde, „die Beweise (ihres Verbrechens) zu vernichten“, um sich ihrer Verantwortung entziehen zu können. Sie fordert die Regierung von Hongkong außerdem auf,
Maßnahmen zu ergreifen, das zu verhindern, und dass ihre Auflösung die Verantwortlichen nicht retten wird. Dies zeigt: Sich dem Sprachrohr der Partei zu ergeben, wird Oppositionelle wahrscheinlich nicht retten. Wir befinden uns jetzt in einer sehr schwierigen Situation. Dies bedeutet keineswegs, dass eine frühzeitige Selbstsauflösung von Oppositionsorganisationen die einzige Wahl ist, die wir haben. Die Vorbereitung auf Rechtsstreitigkeiten ist immer noch eine
Option, die nicht leichtfertig aufgegeben werden sollte.
Tatsache ist, Hongkong ist gefallen. Fakt ist auch, dass heute das Kräfteverhältnis zu Ungunsten der Hongkonger Bevölkerung gegenüber Peking ist. Aber es gibt immer noch unseren Glauben an die Demokratie und unsere tägliche Verpflichtung zum Widerstand. Es ist traurig zu sehen, dass es auch unter den Demokratieanhängern Menschen gibt, die sich nicht nur von den Taten des Regimes, sondern auch von seiner Sprache leicht einschüchtern lassen. Manche übernehmen ohne Zwang seine Begriffe wie die „roteLinie“ oder greifen den Kommentar der Parteimedien auf, als wäre er das Gesetz. Widersetzen wir uns dieser Art von Sprache der Partei, bekräftigen wir unser Bekenntnis zu demokratischen Grundwerten und Rechtsstaatlichkeit und rufen wir laut: „Wir sind nicht verpflichtet, auf die Medien irgendeiner Partei zu hören! Wir müssen unsere Autonomie verteidigen! Wir sind Bürger, keine Sklaven!
1) 1958 Ein Leitartikel in der Volkszeitung wird landesweit umgesetzt《1958年《人民日报》一篇社论全国执行》》,https://zhuanlan.zhihu.com/p/40781699

Übersetzung von Peter Franke, Original: Borderless Movement 12.8.2021

Zum Hintergrund und zur Geschichte der Gewerkschaft:

Eine 48 Jahre alte Gewerkschaft in nur 11 Tagen verschwunden – wie Hongkonger Lehrer eine starke Stimme verloren haben

48 Jahre erhob die Lehrergewerkschaft Hong Kong Professional Teachers‘ Union
(HKPTU) ihre Stimme für Lehrende und zu politische Fragen – doch das Ende kam brutal schnell.
Sonntag, 15. August 2021, von Rhoda Kwan (Hong Kong Free Press)
Die Entscheidung der pro-demokratischen Hong Kong Professional Teachers’ Union (HKPTU),  unter Berufung auf den „enormen Druck“ von Peking und der Stadtregierung sich nach 48 Jahren aufzulösen, hat eine wichtige Stimme der Zivilgesellschaft zum Schweigen gebracht.
Die 95.000 Mitglieder zählende Gewerkschaft teilte mit, sie könne inmitten der politischen und sozialen Veränderungen in der Stadt „keinen Weg nach vorne mehr sehen“. Die Auflösung kam etwa eine Woche nachdem die Bildungsbehörde die Verbindungen zur Gewerkschaft abgebrochen hatte. Die Entscheidung verkündete die Behörde nur wenige Stunden nachdem chinesische Staatsmedien die Gewerkschaft als „giftigen Tumor“ bezeichnet hatten, der „ausgemerzt“ werden müsse.
Die Gewerkschaft, die über 90 Prozent der Lehrenden der Stadt vertrat, hatte sich traditionell für bessere Arbeitsbedingungen für LehrerInnen, für schülerorientierte Bildungsreformen und für eine umfassendere Demokratie für die Stadt eingesetzt...

weiter in deutscher Übersetzung auf der Homepage von Forum Arbeitswelten. (Zum Original von HKFP geht's hier.)