Praktikanten unter mörderischem Arbeitsdruck
[Bild: Gebäude mit Arbeiterschlafsälen in Shenzhen]
Berufsschulpraktikant springt in Shenzhener Fabrik in den Tod
Ein 17-jähriger Berufsschüler sprang Berichten zufolge am 25. Juni aus einem Fabrikschlafsaal in Shenzhen in den Tod, nachdem er im Rahmen eines obligatorischen "Praktikums" unter zermürbenden Bedingungen arbeiten musste. Ein von seinem Wanderarbeitervater geschriebener Appell für Gerechtigkeit wurde zunächst zensiert. (...)
Als Teil des Kurses brachte die Schule mehr als 90 Schüler mit Bussen zu einer Fabrik 1.500 Kilometer weiter südlich, in Shenzhen. Die Fabrik stellt elektrische Komponenten her und wird von einer Tochtergesellschaft des in Hongkong börsennotierten Unternehmens Wong's International Holdings Ltd. betrieben.
Yu wurde zu zehnstündigen Nachtschichten gezwungen und mit körperlich anstrengenden Aufgaben betraut, bei denen er Kisten mit einem Gewicht von jeweils über 20 Kilogramm bewegen musste. Er erhielt einen Stundenlohn von 26 Yuan, wobei 12 Yuan als Provision an seine Schule gingen. Der Mindestlohn in Shenzhen beträgt 20,3 Yuan [2,64€] pro Stunde für Nicht-Vollzeitbeschäftigte.
Die Fabrik soll den Berufsschülern gesagt haben, dass sie ihren Abschluss nicht machen dürften, wenn sie ihr dreimonatiges "Praktikum" nicht absolvieren würden. Diese Drohung wurde von der Schule bekräftigt. In einer WeChat-Nachricht, die an die Schüler verschickt wurde, sagte ein Vertreter der Schule angeblich, dass sie drei Schüler von der Schule verwiesen habe, weil sie der Arbeit ferngeblieben seien und "die Unternehmensdisziplin als Scherz behandelten".
Die Fabrik behandelte jedes Nichterscheinen als Abwesenheit, selbst in Fällen von Krankheit und arbeitsbedingten Verletzungen. Während seiner Zeit in der Fabrik entwickelte Yu Magenprobleme, verschlief oft das Mittagessen und verpasste seine Mahlzeiten. Er schickte seinem Vater Bilder von seinen wundgeriebenen Händen. Als er sich auf dem Fabrikboden am Kopf schnitt und seine Brille zerbrach, klebte ihm sein Manager die Brille an den Kopf und schickte ihn zurück zur Arbeit.
In Yus letztem Gespräch mit seinem Vater sagte er: "Ich kann das wirklich nicht mehr ertragen. Ich will das nicht mehr machen." Sein Vater sagte Yu, er solle es aushalten, damit er seinen Abschluss machen könne. Als sein Vater ihn fragte, ob sein Vorgesetzter ihn geschlagen habe, antwortete Yu: "Es ist nicht günstig, darüber zu sprechen."
Am 24. Juni bat Yu um Urlaub, um seine Brille zu reparieren und erhielt die Zustimmung seines Managers. Aber am nächsten Tag verkündete sein Lehrer in der WeChat-Gruppe der Klasse, dass Yu bei der Arbeit gefehlt habe und jede weitere Abwesenheit bedeuten würde, dass er seinen Abschluss nicht machen könne. Fünfzehn Minuten nachdem diese Nachricht gepostet wurde, sprang Yu aus dem sechsten Stock seines Wohnheims.
Anstatt die Firma zu untersuchen, sorgte die Polizei für eine Vertuschung, indem sie das Sicherheitspersonal und Yus Klassenkameraden aufforderte, Bilder der Szene zu löschen. Der Lehrer der Schule, der die Schüler zur Fabrik begleitet hatte, zwang drei von ihnen, nach Hause zu gehen. Weder die Fabrik noch die Schule kontaktierten Yus Vater über den Tod seines Sohnes. Es war der Klassenkamerad seines Sohnes, der ebenfalls in der Fabrik arbeitete, der ihn als erster benachrichtigte.
Mehrere örtliche Regierungsstellen haben seitdem interveniert und das Unternehmen aufgefordert, Yus Familie zu entschädigen und eine Vertraulichkeitserklärung zu unterzeichnen. Ein Familienmitglied von Yu hat erklärt, dass die Regierung ihnen auch eine Untersuchung des Unternehmens, der Schule und der beteiligten Vermittler versprochen hat. (...)
Zensoren löschen die Trauer des Vaters nach dem Selbstmord in der Fabrik in Shenzhen
Die Zensur hat den verzweifelten "Hilferuf" eines Vaters, den er nach dem Selbstmord seines Sohnes geschrieben hatte, aus den chinesischen sozialen Medien gelöscht. Sein Sohn, ein 17-jähriger Schüler der Hubei High School, beging Selbstmord, nachdem er gezwungen worden war, in einer Fabrik in Shenzhen als Teil eines für den Schulabschluss erforderlichen "Praktikums" zu arbeiten. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Schulen, die nach Geld hungern, solche Arrangements für ihre Schüler treffen - unter Androhung des Ausschlusses, wenn sie das "Praktikum" nicht beenden. Letztes Jahr fand die Financial Times heraus, dass ein Apple-iPhone-Hersteller durch ein ähnliches Schema illegal die Arbeitskraft von Schülern ausnutzte.
Yu Ming (in einigen Medienberichten auch Yu Jun genannt), der 17-Jährige aus Hubei, lernte Informatik an einer Berufsschule, als seine Klasse zu einem Computerkurs nach Shenzhen geschickt wurde, der nie stattfand. Stattdessen wurden die Schüler dazu verdonnert, Kisten bei Welco Wong's Technology (Shenzhen) Limited zu transportieren. Obwohl die Fabrik 26 Yuan (4 $) pro Stunde zahlte, erhielten die Schüler nur 14 Yuan pro Stunde - den Rest bekam die Schule. Während seiner Zeit dort wurde Yu zu Nachtschichten gezwungen und vom Chef des Fließbandes schikaniert, der dem stark kurzsichtigen Yu nicht erlaubte, seine Brille zu reparieren, nachdem sie während der Arbeit zerbrochen war. In einem inzwischen zensierten Aufsatz, der dem CDT erhalten blieb, dokumentierte Yu Mings Vater die letzten Tage seines Sohnes und schrieb:
"Kind, es tut mir leid, dein Vater hat sein ganzes Leben lang Ziegelsteine bewegt, und jetzt bringen sie dir bei, Kisten zu bewegen":
Am 25. Juni 2021 um 10:28 Uhr sprang mein Sohn Yu Ming, ein 17-jähriger Student der Informatik an der Danjiangkou No. 4 Middle School in Shiyan, Provinz Hubei, von einem Schlafsaalflur in einem Industriegebiet von Shenzhen in den Tod. Nur 15 Tage zuvor hatte er sich im Rahmen eines von der Schule organisierten Praktikums bei Welco Wong's Technology (Shenzhen) Limited auf den Weg nach Shenzhen gemacht.
[...] Die Fabrik arbeitet seit dem Tod meines Sohnes normal weiter und hat niemandem erlaubt, die Nachricht von seinem Selbstmord zu verbreiten. Die meisten Arbeiter wissen nicht, dass mein Sohn bereits tot ist. Die Polizei wies das Sicherheitspersonal und die Fabrikarbeiter an, Videos und Fotos, die seinen Tod dokumentieren, zu löschen. Mehrere durch den Vorfall aufgewühlte Studenten wurden in Gewahrsam genommen und nach Hause geschickt - sie warten nun auf die Ergebnisse ihrer COVID-Tests. Als ich in Shenzhen ankam, hat die Fabrik nicht eine einzige Person geschickt, um zu besprechen, was mit meinem Sohn passiert ist. Es ist, als ob nichts passiert wäre.
Als Vater gebe ich mir die Schuld. Ich bereue, dass ich meinen Sohn nicht beschützt habe. All das Leid, das wir ertragen haben, um ihn aufzuziehen, ist einfach so weg. Die Polizei schließt Mord aus. Da bin ich anderer Meinung. Ich habe nicht geschrien, ich habe keinen Stunk gemacht, aber das heißt nicht, dass ich nicht wütend bin! Wenn ich als Vater an all die Momente mit meinem Sohn zurückdenke: Wir weinten, wir stritten, wir kämpften, wir fluchten. Er war ein Mann geworden. Dass er nach nur 15 Tagen eines Praktikums in Shenzhen Selbstmord begehen konnte ....
Was hat mein Sohn in diesen paar kurzen Tagen durchgemacht? Ich denke zurück an unser letztes Telefonat. Ich sagte: "Dein Lehrer hat mich gewarnt: Wenn du nur einmal die Arbeit schwänzt, fliegst du von der Schule." Er sagte, die Arbeit sei zu anstrengend. Dass er jede Nacht eine Nachtschicht von über 10 Stunden hatte. Dass es anstrengend war. Dass er mittags nichts essen konnte. Dass er Magenschmerzen bekam. Er erzählte mir, dass der Fließbandleiter es auf ihn abgesehen hatte, dass die Schule seinen Antrag auf Freistellung abgelehnt hatte, dass ihm die Erlaubnis verweigert worden war, in die Tagesschicht zu wechseln. Er konnte nicht essen. Er sagte mir, dass er es nicht mehr machen wolle. Ich sagte: "Auf keinen Fall. Sogar Soldaten brauchen einen Highschool-Abschluss. Lass deine Brille reparieren und mach als Soldat weiter." Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich in dem Moment, in dem mein Sohn mich am meisten brauchte, nicht an seiner Seite stehen würde. Hätte ich das früher gewusst, wäre mir der Highschool-Abschluss egal gewesen. Die Gesundheit und Sicherheit meines Sohnes wäre genug.
Während dieser Tage in Shenzhen habe ich mich zutiefst hilflos gefühlt. Die Klassenkameraden und der Lehrer meines Sohnes haben mich besucht, ihre Trauer und ihr Mitgefühl überbracht und mich gedrängt, Gerechtigkeit gegen die Fabrik und den Fließbandleiter zu suchen - sie waren diejenigen, die meinen Sohn getötet haben. Es gibt Beweise für illegale Beschäftigung und Zwangsarbeit. Ich zögerte, während mir der Kopf schwirrte. Aber schließlich habe ich mich gesammelt. Ich weiß, dass ich das große Ganze im Auge behalten muss. Ich weiß, dass ich gegen die gewaltige juristische Vertretung des Unternehmens wenig Macht habe, aber ich glaube, dass früher oder später Gerechtigkeit herrschen wird. Ich rufe die Führung auf, mir bei der Suche nach Gerechtigkeit und einer öffentlichen Entschuldigung zu helfen.
Bereits 2011 veröffentlichete das China Labour Bulletin die Untersuchung:
Die massenhafte Erzeugung von Arbeitskräften
Die Ausbeutung von Schülern in Chinas Berufsschulsystem
Ein Video von 2017 über Praktikanten als "Wegwerfarbeiter":