Verlassen auf der Insel...

Andi W. and Promise Li (vom Hongkonger Lausan Kollektiv) beklagen das Ausbleiben internationaler Solidarität für die Protestbewegung. Ihr wütendes Statement im amerikanischen Magazin Tempest richtet sich an US-Linke, doch auch hierzulande kann man sich angesprochen fühlen:

Das Engagement für internationale Solidarität wurde durch die weit verbreitete Desinformationskampagne der sogenannten "Antiimperialisten" zunichte gemacht, die die gesamte Protestbewegung als CIA-unterstützt oder faschistisch verleumdet. Dabei wird ignoriert, wie sich die Bewegung gegen die Aneignung und Aufrechterhaltung der unter britischer Herrschaft etablierten kolonialen Konzepte durch Peking gewehrt hat. Bei der Solidarität mit Hongkong geht es nicht darum, zu entscheiden, welcher Nationalstaat schlimmer ist; es geht darum, diese falsche Binärformel zurückzuweisen, die die herrschenden Eliten für uns geschaffen haben, und sich der Verbreitung und Übernahme westlicher kolonialer Rahmenbedingungen durch alle Staaten, insbesondere China, zu widersetzen. Anstatt apathisch zu bleiben oder die Massenbewegung in Hongkong aktiv zu dämonisieren, muss die Linke grenzüberschreitende Unterstützung anbieten, indem sie praktische demokratische Alternativen entwickelt.
Der gegenwärtige Widerstand gegen das harte Vorgehen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gegen abweichende Meinungen in Hongkong ist ein Produkt der seit langem wachsenden Unzufriedenheit. Die Übergabe Hongkongs von Großbritannien an China kann am genauesten als ein Transfer von einer kapitalistisch-kolonialen Macht an eine andere verstanden werden.
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Die zunehmenden Aggressionen Pekings, die durch die kriegerische Sprache der Trump-Administration in Washington ergänzt und verstärkt werden, spiegeln eine neue Rhetorik des Kalten Krieges wider - eine polarisierte Weltsicht, die einen globalen, neoliberalen Konsens über die Unterdrückung der Menschen aus Arbeiterklasse verschleiert. "Weder Washington noch Peking" signalisiert nicht einfach, dass beide Staaten gleich schlecht sind. Stattdessen erkennt es an, dass der Imperialismus ein Weltsystem ist, das nicht auf die Grenzen der Nationalstaaten beschränkt ist, dass die Demonstranten in Hongkong und ihre Anhänger in der Lage sind, neue aufstrebende imperiale Akteure abzulehnen, die ein globales System ungleicher Beziehungen stärken, das zuerst vom Westen geschaffen wurde. Hongkongs jahrzehntelange Geschichte als wichtiger Standort für die Erleichterung ausländischer Direktinvestitionen des Westens in China auf Kosten der Lebensgrundlagen von Millionen von Werktätigen bedeutet, dass die gegenwärtige Notlage der Stadt sowohl für die US-amerikanische als auch für die chinesische Linke ein Thema von großer Bedeutung sein sollte.
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Dass China die Protestbewegung in Hongkong lautstark als "ausländische Einmischung" verurteilt, ist heuchlerisch. Peking kommt einer US-Unterstützung bereitwillig entgegen, wenn es ihren Interessen dient. Das eklatanteste Beispiel dafür ist der langjährige Austausch zwischen den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden und der hongkonger Polizei HKPF. Die HKPF ist seit Jahren Nutznießer von Waffen und anderen Aufstandsbekämpfungstechnologien von US-Firmen - von denen viele heute auch gegen schwarze Demonstranten und ihre Sympathisanten in den USA eingesetzt werden.
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Das Auftreten reaktionärer, fremdenfeindlicher, die US-Flagge schwingender Elemente in den Protesten ist zu verurteilen, aber die Ablehnung solcher Elemente ist keine Entschuldigung dafür, den chinesischen Staat zu unterstützen...
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Globale Aufstände gegen staatliche Gewalt sind in den letzten anderthalb Jahren in den Vordergrund gerückt. Bewegungen wie Black Lives Matter in den USA, Aufstände im Libanon und in Chile, Opposition gegen das Regime Duterte auf den Philippinen, Proteste gegen die israelische Annexion Palästinas und der Aufstand West-Papuas gegen Indonesien sind nur ein Bruchteil der anhaltenden Kämpfe gegen staatliche Gewalt in der Welt. Der nächste Schritt ist der Aufbau einer wirklichen internationalen Solidarität mit anderen unterdrückten Völkern unter der Bedrohung dieser autoritären Regime.
Anstatt sich darauf zu konzentrieren, den letzten verzweifelten Versuch einiger Hongkonger zu verteufeln, den US-Kongress um parteiübergreifende Unterstützung zu bitten, kann die Linke dabei helfen, praktische Alternativen zu entwickeln.
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Die westliche Linke hat sich weitgehend eines Kommentars zu Hongkong enthalten. Aber die Hongkonger haben deutlich gezeigt, dass sie internationale Unterstützung brauchen...

Tempest 5.8.2020