December 9, 2021

Chinas Kommunistische Partei und die Unsicherheit westlicher Linker

Geopolitische Konflikte erschweren eine Beurteilung

Chinas Kommunistische Partei  und die Unsicherheit westlicher Linker

Beiträge zur Debatte aus Hongkong (Lausan) und Deutschland (AK):

Antikommunismus mit chinesischen Merkmalen

Ein kapitalistisches Imperium durch ein anderes zu ersetzen ist sinnlos
(...) Aber wo ältere Generationen von Marxisten-Leninisten sich darauf konzentrierten, den Kapitalismus zu überwinden, (...) leitet diese neue Generation von Marxisten-Leninisten ihre Politik von einer weitgehend imaginären Reihe von geopolitischen Konfigurationen ab. Selbst die Logik "der Feind meines Feindes ist mein Freund" verwerfend, haben sich diese Möchtegern-Marxisten-Leninisten davon überzeugt, dass jeder Feind der USA eine sozialistische Utopie und vielleicht sogar eine globale antiimperialistische Macht ist.
Das hat sie dazu gebracht, die moderne Kommunistische Partei Chinas (KPCh) zu unterstützen und sie als ein Modell des internationalen Sozialismus und Antiimperialismus zu betrachten: das letzte Bollwerk des Kommunismus des 20. Jahrhunderts gegen das sich immer weiter ausbreitende amerikanische Imperium. Was diese Generation von Marxisten-Leninisten ignoriert hat, ist Chinas Rolle im späten Kalten Krieg als große antikommunistische Macht im Osten und seine anschließende Rolle bei der Finanzierung des amerikanischen Imperiums, als es in Afghanistan und im Irak einmarschierte. Die Geschichte dieses Übergangs - von der internationalen Vorhut der kommunistischen Bewegung zum wichtigsten Verbündeten der USA im Kalten Krieg und Mitglied der Welthandelsorganisation - ist der Schlüssel zum Verständnis der Struktur und Aufrechterhaltung des modernen kapitalistischen Systems. Ohne diese Perspektive bleiben Möchtegern-Amerikaner zurück, um durch eine Realität zu waten, die aus halb erinnerten Slogans und den Symbolen einer Welt besteht, die vor einem halben Jahrhundert untergegangen ist, unfähig, die tatsächliche Struktur des Kapitals und des Imperiums zu sehen, aus der das amerikanische imperiale System besteht.
(...) Chinas Neuausrichtung auf den kapitalistischen Block löste auch ein weiteres Problem für die USA. Sinkende Profitraten während der Krise der 70er Jahre führten zu massiven, unrentablen Überkapazitäten in der verarbeitenden Industrie, denen Kapital gegenüberstand, das nicht gewinnbringend investiert werden konnte. Diese Krise äußerte sich in einer Reihe von Schuldenblasen, die sich von Lateinamerika bis Japan erstreckten. Durch die Integration der hochqualifizierten, aber extrem armen Bevölkerung Chinas in die Weltwirtschaft, sowohl als Quelle von Arbeitskräften als auch als Markt, wurde die Produktion jedoch lange genug wiederhergestellt, damit der Kapitalismus den Sturm überstehen konnte.
(...) Der Kapitalismus ist ein Weltsystem und nicht nur das Produkt der Entscheidungen einzelner Länder. Ein kapitalistisches Imperium durch ein anderes zu ersetzen, ist zwecklos. Jede Form antiimperialistischer Politik, die sich auf Nationen konzentriert, führt unweigerlich dazu, ein Gesicht des Kapitalismus gegen ein anderes auszuspielen, das immer nur das System reproduzieren kann, das es zu bekämpfen vorgibt. Nur durch eine Konfrontation mit dem gesamten kapitalistischen Weltsystem, unabhängig von der Farbe seiner Flagge, kann der Albtraum des Imperiums beendet werden.

Das linke in Hongkong erscheinende Magazin Lausan 22.1.2021

Kapitalismus in Xinjiang

Warum sich Linke mit der Masseninternierung der Uigur*innen in China befassen sollten, erklärt der Anthropologe Darren Byler

Darren Byler hat insgesamt zwei Jahre in Xinjiang zur Situation der Uigur*innen geforscht. Ende dieses Jahres erscheint sein Buch »Terror Capitalism: Uyghur Dispossession and Masculinity in a Chinese City«.

Ich spreche hier von »Terrorkapitalismus«. Damit will ich beschreiben, wie das Label »terroristisch« von Regierungen und Unternehmen benutzt wird, um mit bestimmten Bevölkerungsgruppen Profite zu machen. Die Sicherheitstechnik ist ein Schwerpunkt der chinesischen Technologiebranche, und um die Überwachung der Uigur*innen herum hat sich eine ganze Industrie entwickelt, die natürlich in globale Wirtschaftszusammenhänge eingebunden ist. Das stellt also auch eine Art ursprüngliche Akkumulation dar. Und der Terrorismusbegriff soll hier die Erschließung neuer Märkte sowie die Masseninternierung und Zwangsarbeit der Uigur*innen legitimieren.

Wie können wir die Masseninternierung der uigurischen Bevölkerung in der Logik des Kapitalismus verstehen?

Das Gefängnissystem hat zwei Ebenen. Es gibt die offiziellen Gefängnisse und es gibt die Lager, die seit 2017 gebaut werden. Die Gefängnisse selbst haben oft angegliederte Fabriken, wie in vielen anderen Ländern auch. Die Lager arbeiten dagegen außerhalb formaler Gesetze, das ist eine neue Entwicklung der letzten paar Jahre. Zusammen mit den angegliederten Fabriken funktionieren sie eher wie Arbeitslager. Die Betreiber*innen der Fabriken sind größtenteils Privatleute, die ihre Produktionsstätten wegen der billigen Arbeitskräfte nach Xinjiang verlegt haben. Außerdem hat die Regierung Anreize dafür geschaffen. So hat sich eine Art Hybrid aus Gefängnissystem und privater Industrie gebildet: Während die Lagerinsassen in den Fabriken arbeiten, werden sie von Aufseher*innen der Lager überwacht, die auch bei der Verwaltung der Fabriken helfen.

Kennst du Aktivist*innen, die einen eher linken oder materialistischen Ansatz haben?

(...) Es gibt (...) die »Uyghur Solidarity Campaign UK«, die versucht, in der britischen Arbeiterbewegung Unterstützung für die Uigur*innen zu mobilisieren. Und eine Wissenschaftlerin in den USA schreibt unter dem Pseudonym Yi Xiaocuo darüber, wie das Ganze aus einer feministischen und dekolonialen Perspektive aussieht. Es gibt also auch linke Perspektiven in der Debatte.

Die globale Linke scheint dennoch nicht wirklich interessiert an dem Thema zu sein. Stattdessen nutzten es Trumps Regierung und andere Rechte, um Stimmung gegen China zu machen und ihre antikommunistische Agenda zu propagieren. Warum schweigt die globale Linke zur Situation der Uigur*innen?

Die globale Linke kämpft gegen so viele Probleme gleichzeitig, und viele davon im jeweils eigenen Land. Wir müssen allerdings verstehen, dass das, was im Moment mit den Uigur*innen geschieht, eine extreme Form dessen ist, was der moderne Kapitalismus und diese Art von Überwachungssystemen, gegen die wir in Europa und Nordamerika kämpfen, anrichten können. Wir sehen dort sozusagen die ultimative Ausbeutung einer Bevölkerungsgruppe. Deshalb denke ich, dass die Linke darüber besorgt sein sollte. Wir müssen den internationalistischen Diskurs wiederbeleben, einen viel stärkeren Standpunkt zum Thema Xinjiang einnehmen und das nicht den Rechten überlassen. Die Rechten nutzen das Thema tatsächlich nur für ihre eigenen strategischen Zwecke. Die US-Amerikanische Rechte meint gegen den Kommunismus zu kämpfen, den sie durch China repräsentiert sehen, aber hier geht es in Wirklichkeit nicht um Kommunismus. Der Kommunismus ist nicht das, was die Uigur*innen ausbeutet.

AK 16.3.2021

Bereits 2019 verfaßten Ingeborg Wick und Bodo Zeuner* die zum Thema passende Rezension Deutsche Linke für Xi Jinping?

Weitere Beiträge zur politischen Einordung Chinas befinden sich auf unserer Webseite.

*Am 30.11.2021 ist unser engagierter Mitstreiter Bodo Zeuner verstorben. Er hat über viele Jahre durch sein Engagement im Forum Arbeitswelten den Erfahrungsaustausch unter AktivistInnen in Deutschland  und China lebendig mitgestaltet und einen kritischen Blick auf die Arbeitswelt in Deutschland nach China, sowie ein entsprechend kritisches Bild von China in Deutschland vermittelt.