January 26, 2020

Ausgang der Präsidentschaftswahlen in Taiwan

Nach Hongkong ein weiteres Problem für die Regierung in Peking

Ausgang der Präsidentschaftswahlen in Taiwan

Am Samstag dem 11. Januar fanden in Taiwan sowohl die Präsidentschafts- als auch die Wahlen zum gesetzgeberischen Organ, dem so genannten Legislative Yuan, dem taiwanesischen Parlament statt. Die regierende Democratic Progressive Party, die Fortschrittspartei konnte sowohl ihre Parlamentsmehrheit, als auch Tsai Ing-wen als Präsidentin verteidigen. Mit über 8 Millionen stimmen gegenüber den 5,5 Millionen stimmen ihres Herausforderers Han Kuo-yu von der Koumintang, der chinesischen Nationalpartei erzielte sie gar das höchste absolute Ergebnis eines taiwanesischen Präsidenten seit dem Ende des Kriegsrechts Ende der 80er Jahre (57,1 % zu 38,4 %).[1]

Ein erstaunliches Ergebnis, vor allem wenn man berücksichtigt, dass Tsai in Umfragen noch im Juli 2019 mit fünf Prozentpunkte hinter Han zurücklag. Han Kuo-yu, kein etablierter Spitzenpolitiker, der 2018 überraschend zum Bürgermeister der zweitgrößten taiwanesischen Stadt Kaohsiong gewählt worden war, hatte mit populistischen Parolen den Wahlkampf stark emotionalisiert. Vor allem stand er für eine Politik der stetigen Annäherung an China, worin sowohl wirtschaftlich als auch militärisch und kulturell die Zukunft Taiwans liegen sollte. Es häuften sich die Anzeichen, dass seine Kampagne verdeckt durch die Volksrepublik gestützt wurde.[2] Anfänglich erfolgreich, stellte die andauernde Demokratiebewegung in Hong Kong diese Strategie nachhaltig in Frage. Taiwanesischen Wähler*innen wurden die Konsequenzen eines zu weitgehenden chinesischen Einflusses vor Augen geführt und sie entschieden sich mehrheitliche für den moderaten Kurs einer nationalen taiwanesischen Identität, für den Tsai Ing-wen steht.

Han Kuo-yu hätte sich mit seinen Positionen und seinem Politikstil sicherlich in eine Reihe mit Trump, Bolsonaro oder Orban stellen lassen müssen. Insofern ist ein Aufatmen angebracht. Dennoch ist Tsai Ing-wen keine Präsidentin, die für die Interessen der taiwanesischen Arbeiter*innen steht. Ein Beispiel:

In Taiwan werden im Schnitt 2.033h pro Jahr gearbeitet. Damit ist Taiwan neben Singapur und Costa Rica führend unter den OECD-Staaten.[3] Der Vergleich mit den 1.372h, die ein*e deutsche Arbeiter*in pro Jahr arbeitet ist bemerkenswert. Seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2016 hat Tsai Ing-wen keine wesentlichen Schritte gegen das extrem arbeitgeberfreundliche Arbeitsregime in Taiwan unternommen. Im Gegenteil: In einer ersten Reform wurden die gesetzlichen Feiertage von 19 auf 12 reduziert und eine zweite Reform legalisierte einen Zeitraum von 12 Arbeitstagen ohne Erholungstag.

Die Fortschrittspartei steht für eine progressive Politik und konnte zum Beispiel die Legalisierung der Homo-Ehe erreichen. Sie steht jedoch auch für einen stramm neoliberalen Kurs. Die taiwanesische Arbeiter*innenbewegung, die sich teilweise sowohl gegen Tsai als auch gegen Han als Kandidaten ausgesprochen hatte, ist bis jetzt noch nicht in der Lage gewesen eine eigene, effektive, parlamentarische Vertretung zu etablieren.

Der Ausgang der Wahlen eröffnet nun verschiedene Fragen:

Wie wird die stark polarisierte taiwanesische Gesellschaft mit dem Ausgang der Wahlen umgehen? Die deutlichste Spaltung verlief nach Lebensalter – kaum jemand unter 40 Jahren wählte Han Kuo-yu, während die Älteren zumeist der Koumintang ihre Stimme gaben – und damit mitten durch die familiären Strukturen.

Wie kann die taiwanesische Arbeiterbewegung ihre gesellschaftliche Rolle stärken und auch politisch an Bedeutung gewinnen?

Und nicht zuletzt, wie wird die VR China reagieren? Sie wird gezwungen sein ihre Strategie im Hinblick auf Taiwan anzupassen. Dies könnte in größerer Zurückhaltung aber auch in zunehmender Aggression bestehen.

-René Kluge-

1. Für hervorragende Wahlanalysen zu Taiwan vgl. den Blog  https://frozengarlic.wordpress.com/

2. Vgl. u.a. diesen Artikel der New York Times  https://www.nytimes.com/2019/12/06/world/asia/china-taiwan-election-defector.html?action=click&module=RelatedLinks&pgtype=Article

3. Vgl. die interessante globale Übersicht unter  https://clockify.me/working-hours