May 13, 2023

Das Phänomen »Yizu«

Buchbesprechung: Kimiko Suda über migrantische Hochschulabsolvent:innen als Chinas Wendepunktgeneration

Das Phänomen »Yizu«

In der bereits im September 2021 erschienenen ethnografischen und wissenssoziologischen Fallstudie beschreibt Kimiko Suda akribisch die Wohn- und Lebenssituation von Binnenmigranten nach einem Hochschulbesuch.

"Beim Phänomen »Yizu« (Ameisenstamm) handelt es sich um Hochschulabsolvent*innen aus ländlichen Regionen Chinas, die sich in den Metropolen des Landes ein Leben aufbauen möchten." (Aus der Verlagsbeschreibung.)

Sie nimmt auch Leser mit, die keine Chinaspezialisten sind. Es wird das Hoku System der Haushaltsregistrierung erklärt und wie man sich "Urban Villages", die quirligen Viertel einfacher Menschen inmitten der hypermodernen Megacities, vorstellen kann. Man bekommt auch Eindrücke von Wohnverhältnissen mit geringer Wohnfläche und wenig Tageslicht, inklusive der Gerüche, die aus den engen Gassen in  die Wohnungen ziehen.

Es ist eine wissenschaftliche Untersuchung mit einer erschlagenden Zahl an Fußnoten, doch Kimikos Untersuchung der Lebenssituation der Hochschulabsolvent:innen glänzt durch ihre Feldforschung mit unzähligen Gesprächen mit den Betroffenen. Man bekommt Einblicke in die Gedanken, Hoffnungen und Pläne der Menschen, bei ihrer Suche nach einem Platz in der sich rasant verändernden Gesellschaft. Die Versprechen der Partei vom "Chinesischen Traum", nach denen Bildung und Fleiß mit dem sozialen Aufstieg belohnt werden, empfinden Hochschulabsolvent:innen als lebensfremd. Die Arbeit, zu der man mit höherer Bildung Zugang bekommt, ist mit langen Arbeitszeiten und wenig  Aufstiegschancen verbunden.

Die Hoffnungen, die durch das Zurücklassen des ländlichen Lebens und dem Eintritt in die Welt der "While Collar" Arbeit geknüpft sind, sind stark durch Medienbilder geprägt. Ähnlich stellt es sich bei den Geschlechterrollen dar. Die Lebensrealität findet im Konflikt mit Vorstellungen der Eltern und den Bildern der TV Serien statt. Die Frustrationen sind hoch. Trotz höherer Bildung und größerer Flexibiltät ist keine rosige Zukunft zu erwarten. Armut, Erschöpfung, Sozialphobie und Suizid gehören zu den Begleitern dieser Generation.

Diese desillusionierte Jugend hat durch Lebensumstände, wie die eines beengten Lebens in Urban Villages, erzwungener Mobilität und die Sozialen Medien einen hohen Grad an Austausch und Debatte. Kimiko setzte hinter den Begriff "Wendepunktgeneration" noch ein Fragezeichen.

Die Welle der Proteste und Aufstände, die Ende letzten Jahres begannen, die Universitäten, Fabriken und Urban Villages erfaßten und heute sich noch in einer Vielzahl kleinerer Konflikte zeigen, setzen ein Ausrufezeichen. Diese Generation ist trotz hoher Frustration mutiger geworden und stellt ihre eigenen Fragen, die auch an den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht Halt machen.

Das Phänomen »Yizu«
Migrantische Hochschulabsolvent*innen als Chinas Wendepunktgeneration? Eine ethnografische und wissenssoziologische Fallstudie.
transcript Verlag
ISBN: 978-3-8376-5945-0