December 4, 2024

Der Bildungssektor *Teil II *Amok

Gewalt und Amokläufe rund um Bildungseinrichtungen

Der Bildungssektor *Teil II *Amok

Die BBC berichtete:

Am Samstag kam es in China zu einem weiteren brutalen Ereignis. Auf dem Campus einer Berufs- und Fachschule in Wuxi City, Provinz Jiangsu, stach ein Absolvent mit einem Messer auf Menschen ein, was zu 8 Toten und 17 Verletzten führte. „Heutzutage gibt es zu viel Gewalt in der Gesellschaft. In den letzten Jahren scheint es eine Menge Morde zu geben“, sagte ein Bürger aus Wuxi. Dies ist bereits der zweite wahllose Angriff in China innerhalb einer Woche. Am 11. November raste ein Auto in eine Menschenmenge in einem Sportzentrum in Zhuhai, wobei 35 Menschen getötet und 43 verletzt wurden.

BBC 18.11.2024

Bei einem Messerangriff an einer Berufsschule in China sind mindestens acht Menschen getötet worden. 17 weitere Menschen seien bei dem Angriff an der Wuxi-Berufsschule für Kunst und Technologie in Yixing in der Provinz Jiangsu verletzt worden, teilte die Polizei mit. Der mutmaßliche Täter ist den Angaben nach ein ehemaliger Schüler. Er sei festgenommen worden und habe ein Geständnis abgelegt.

Zeit 16. November 2024

Der amerikanische Professor Eli Friedman veröffentlichte eine englische Übersetzung des Bekennerbriefs des Täters:

Wenn es ein Gleichgewicht gibt, ist keine einzelne Schneeflocke unschuldig. Eigentlich ist jeder Teil eines Ganzen. Das Unglück einer Person ist das Unglück aller, und das Unglück eines anderen kann auch dein Unglück sein. Frag nicht, für wen die Glocke läutet, sie läutet für dich.
In der Fabrik werden die Löhne böswillig nicht gezahlt, es gibt keine Versicherung und keine Überstunden, man kann Geldstrafen verhängen, und es wird kein Ausgleich angeboten. Die Arbeiter in der Fabrik arbeiten in zwei oder drei Schichten pro Tag, 16 Stunden am Tag, ohne einen einzigen freien Tag im Monat. Als ich krank wurde und um ein paar freie Tage bat, sagte der Abteilungsleiter unerwartet: „Andere Leute mit Fieber und Nasenbluten arbeiten noch. Was meinst du damit, daß du es nicht kannst? Wenn du nicht arbeiten kannst, dann verschwinde von hier.“

Ich habe gesehen, wie die Fabrik die Arbeiter rücksichtslos auspresst und ausbeutet. Die Fabrik hat kein Recht, mich zu bestrafen, aber obwohl ich alle möglichen Methoden ausprobiert habe, konnte ich keine Lösung finden. Ich werde mich im Namen der Arbeiterinnen und Arbeiter äußern. Diese Welt muss geändert werden. Ein Mensch kann zerstört werden, aber er kann nicht besiegt werden. Ich würde lieber sterben, als mich auspressen und ausbeuten zu lassen. Ich möchte, dass mein Tod die Arbeitsgesetze voranbringt.
Die Schule hat mir mein Diplom böswillig vorenthalten und will mich nicht zum Studienabschluss kommen lassen. Die meisten Schüler haben sich durch die Prüfungen gemogelt, und die Schule hat mein Nichtbestehen der Prüfungen als Vorwand benutzt, um mir mein Diplom vorzuenthalten. Du hast mich zu sehr schikaniert. Jeder schikaniert mich. Glaube nicht, dass ich so leicht zu täuschen bin, einige Schulden, einige Schulden müssen beglichen werden.
Ich werde mein Leben einsetzen, um zu kämpfen. Ich werde meine Demütigung vollständig auslöschen. Ich will diese Dinge aufdecken. Ich muss durchatmen, ich will nicht beweisen, dass ich großartig bin, sondern die Menschen wissen lassen, dass ich das, was mir genommen wurde, zurückgewinnen werde. Es lebe der Sieg! Es lebe das Volk! Es lebe die Arbeiterschaft! Lang lebe das Proletariat! Lasst die Geschichte über mich urteilen, die Geschichte wird beweisen, dass ich Recht habe, ich liebe diese Welt. Ich liebe meine Familie. Lebt wohl.
Xu Jiajin
16. November 2024

Eli Friedman

Der klassenkämpferische Nachrichtenkanal "Yesterday" bekam eine Meldung zu dem Vorfall zugespielt:

Am 17. und 18. November wurden auf einem Wanderarbeiter-Arbeitsmarkt in einem Vorort einer Stadt in einer südlichen Provinz Chinas (die betreffende Person wollte die genaue Adresse nicht bekannt geben) regierungsfeindliche Flugblätter über den Anschlag in Wuxi verteilt. In den Flugblättern wurde die chinesische Bevölkerung zu praktischen Aktionen aufgerufen.

Der Einsender gab an, dass er auf einem Markt im Süden drei Flugblätter erhalten habe, deren Inhalt folgender sei:

„Arbeiter, Studenten, Menschen im ganzen Land ergreift Maßnahmen“, um mit praktischen Maßnahmen der Opfer zu Gedenken und auf den Widerspruch gegen die Regierung und die "schwarzen" Kapitalisten hinzuweisen. Der Inhalt wurde auch auf Arbeitsmärkten in anderen Regionen und an anderen Orten, an denen sich Arbeiter versammeln, hoch gelobt. Ein einheitliches Flugblatt mit der Unterschrift „Chinesischer Revolutionär“ oder „Chinesischer Sozialrevolutionär“ ist für die Aktion verantwortlich. Der vollständige Text der Erkärung lautet wie folgt: Alle Menschen in China, unsere Landsleute! Was gestern passierte, erregte die Aufmerksamkeit aller. In Wuxi wurden acht Studentinnen in ihren besten Jahren getötet. Die Person, die sie getötet hat, war weder ein Sadist mit einem in der menschlichen Natur liegenden Bösen, noch war er der Feind der Gesellschaft, wie die Regierung ihn immer nennt, noch war er ein Ausländer, sondern ein Klassenkamerad, der viele Jahre lang mit ihnen gelitten hatte. Sein Name ist Xu Jiajin. Unser Klassengenosse Xu Jiajin wurde von der Schule schamlos dazu verleitet, als Praktikant in einer Fabrik zu arbeiten, doch tatsächlich leistete er den erbärmlichsten und schmerzhaftesten Job. Der illegale Vermittler und die Schule brachten ihn dazu, in einer illegalen Fabrik zu arbeiten, wo er mehr als zehn Stunden am Tag arbeitete, ohne einen entsprechenden Lohn zu erhalten. Egal wie gut ein junger Mann ist, er wird von den bösen Absichten dieser Kapitalisten in den Wahnsinn getrieben! Deshalb entschied er sich, die Menschen, die mit ihm litten, brutal zu töten. Liegt das daran, dass er von Natur aus gerne tötet? Wenn die Gesellschaft den Menschen einen Ausweg bietet, warum dann Menschen töten? Diese Gesellschaft, diese Regierung, Kapitalisten und Beamte haben zusammengearbeitet, um ihn auf den Weg des Mordes zu führen. Die Situation ist jetzt klar. Wir befinden uns seit langem in einer Zeit, in der Kapitalisten und die Regierung zusammenarbeiten, um uns Menschen zu unterdrücken. Sie erschaffen scharenweise verzweifelte Mörder. Der verzweifelte Kollege Xu Jiajin schrieb in seinem Abschiedsbrief, dass die Fabrik seinen Lohn böswillig verzögerte, sich weigerte, ihm eine Versicherung abzuschließen, sich weigerte, ihm Überstunden zu zahlen, ihm eine Geldstrafe auferlegte und sich weigerte, ihm eine Entschädigung zu zahlen. Die Arbeiter in der Fabrik arbeiten jeden Tag in zwei oder drei Schichten und arbeiten einen Monat lang 16 Stunden am Tag ohne einen freien Tag.
Wer von uns hier ist jetzt nicht in dieser Situation? Diejenigen von uns, die Gelegenheitsjobs haben, können keine Arbeit finden, und diejenigen, die in Fabriken arbeiten, werden von Schurkenagenturen getäuscht. Welche Agentur auf der Welt sind nicht Schurken? Welcher Kapitalist ist nicht schwarz? Die sogenannten Arbeitsgesetze der Regierung sind Blödsinn. Sie sind nichts weiter als die Suche nach einem legalen Vorwand, um uns auszubeuten. Arbeitsagenturen sind noch unheilvoller, aber arbeitssuchende Arbeiter können sie nicht verlassen, weil das Agentursystem gesetzlich geschützt ist. Wenn Agenturen auf diese Weise funktionieren, sind weder die Kapitalisten noch die Regierung für unser Leben verantwortlich.

Yesterday

Der Blogger "Teacher Li" registriert eine Vielzahl von Ereignissen in den chinesischen Großstädten, in denen Menschen in psychischen Ausnahmezuständen unkontrolliert gewalttätig werden bis hin zu Amokläufen. Die Zeit berichtet, "In China kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Messerangriffen, vor allem an Kindergärten und Schulen."

Diese grausamen Vorfälle sind sicherlich keine Vorbilder für einen politischen Kampf. Sie sind jedoch so häufig, daß man sie nicht nur als Einzelfälle abtun kann.

Inzwischen gibt es bereits den nächsten Vorfall:

Ein Auto erfasst Menschen vor der Yong'an-Grundschule in Changde, Hunan (19. November)" Am Morgen des 19. November wurden Menschen vor der Yong'an-Grundschule im Bezirk Dingcheng in Changde, Hunan, von einem Auto angefahren. Ein Mann fuhr mit seinem Auto in die Menschenmenge, so dass mehr als ein Dutzend Menschen ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Die Zahl der Todesopfer ist derzeit nicht bekannt. Der Mörder wurde von den Umstehenden gefasst.

Yesterday

Deshalb sei auf das Buch Going Postal: Rage, Murder and Rebellion: From Reagan’s Workplaces to Clinton’s Columbine des US amerikanischen Journalisten Mark Ames hingewiesen:

Der Journalist Mark Ames hat nachgeforscht und kommt zu einer bedrohlichen Schlussfolgerung: Er sieht Amokläufe als Zeichen einer Rebellion gegen das gnadenlose wirtschaftliberale System.
...
"Going Postal" ist ein amerikanischer Slangausdruck und bedeutet soviel wie: extrem wütend werden, wütend bis hin zur Gewaltanwendung. Die Formulierung entstand Ende der 80er-Jahre, als innerhalb weniger Jahre mehr als 40 Mitarbeiter des United States Postal Service von Kollegen beziehungsweise Ex-Kollegen erschossen wurden.
...
Mit den Amokläufen bei der seit den 70er-Jahren Schritt für Schritt privatisierten amerikanischen Post begann, was seither ein Massenphänomen geworden ist: Schusswaffen-Massaker in Büros, Fabriken, Schulen und Universitäten.

Der amerikanische Journalist Mark Ames hat unter dem Titel "Going Postal" ein zorniges Buch über die Amokläufe und ihre Ursachen veröffentlicht, das schnell ins Deutsche übersetzt werden sollte. Ames Thesen sind ebenso simpel wie explosiv: Die Gründe für die Amokläufe liegen für Ames weder in der Persönlichkeitsstruktur der Täter noch in Computerspielen oder fehlenden christlichen Grundwerten. Sie liegen da, wo die Amokläufe fast immer passieren: In Büros und Fabriken, in Schulen und Universitäten. Dort, wo die Menschen den größten Teil ihres Lebens verbringen. Ames' Buch trägt daher einen Untertitel, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: "Rage, Murder and Rebellion in America", auf Deutsch: "Wut, Mord und Rebellion in Amerika".

Deutschlandfunk 2009