February 10, 2024

Feminismus unter Beschuss - bleibt unkaputtbar

Die Partei auf antifeministischem Kurs

Feminismus unter Beschuss - bleibt unkaputtbar

Das Made in China Journal veröffentlicht die Überlegungen der chinesischen feministischen Aktivistin und Publizistin Lü Pin*:

Bleib wütend und bewahre Hoffnung für morgen: Die feministische Bewegung in China verstehen

Wo liegt die Zukunft unserer Bewegung? Diese Frage hat sicherlich viele chinesische Feministinnen wie mich in den letzten ein oder zwei Jahren beschäftigt. Allen Widrigkeiten zum Trotz hatte die feministische Bewegung in China Fortschritte gemacht. Von 2018 bis 2020, als kritische öffentliche Räume im Land geschlossen wurden, hatte das explosive Aufkommen der #MeToo-Bewegung erstaunliche Auswirkungen. Sie setzte feministische Forderungen in einer noch nie dagewesenen Weise auf die öffentliche Agenda und zwang die Gesellschaft und die Regierung, darauf zu reagieren, auch wenn ihre Antworten oft regressiv waren. Als jedoch die scharfe autoritäre Wende alles und jeden, der sich ihr in den Weg stellte, platt machte, verlor die Bewegung einen großen Teil ihrer organisatorischen und verantwortungsvollen Kraft.
Wie viele andere chinesische Feministinnen habe ich beträchtliche Ängste und Turbulenzen erlebt, deren Ausmaß davon abhing, wie groß meine Hoffnung auf Veränderung war. Erst vor kurzem hat die "A4-Bewegung" [Weißpapier-Poteste] für einen Moment des Erwachens gesorgt und mich dazu veranlasst, die Suche nach der Zukunft neu zu beginnen (...).
Die "angekettete Frau", eine anonyme Frau mit einer psychischen Erkrankung, wurde verkauft, zwangsverheiratet, eingesperrt und zu einer Geburt gezwungen. Sie ist ein Überbleibsel einer vergangenen Ära und verkörpert den anhaltenden, unbewältigten Albtraum, dem chinesische Frauen ausgesetzt sind: das Unrecht so ausgebeutet werden zu können, nur weil sie eine Gebärmutter besitzen. (...) Als kleinere Proteste noch in der Planungsphase waren oder sich auch nur emotional zusammenbrauten, klopfte die Polizei bereits an die Türen. (...)
Der Feminismus wird in China weiterhin in nicht-öffentlichen Räumen existieren und sich ausbreiten. Der Feminismus übt auf chinesische Frauen eine große Anziehungskraft aus, weil sie keine anderen Möglichkeiten haben, ihren Unmut zu äußern. (...) Die Verbreitung von feministischem Wissen floriert und ist beliebter denn je, auch wenn die Produktion dieses Wissens rückläufig zu sein scheint. Die Nachfrage des Publikums ist gestiegen, was einen beachtlichen Markt geschaffen hat.  (...) In ihnen hat sich viel Wut angestaut, weil der Staat die Rechte der Frauen immer wieder umgeht, bremst und sogar gewaltsam unterdrückt. Die Wut sucht immer nach einem Ventil (...).
Obwohl junge Frauen mit städtischem Bildungsniveau heute die sichtbaren Verfechterinnen des Feminismus sind, ist die Verbreitung des Feminismus einer Vielzahl von Personen zugute gekommen, darunter auch Frauen, die in Bezug auf Klasse und Alter marginalisiert sind.
Die Stärkung der Frauen durch den Feminismus ist auch für ihre Kämpfe in der Kultur, im Wissen und im täglichen Leben von entscheidender Bedeutung. (...) Einige Teilnehmer der "A4-Bewegung" haben in ihrem Alltag scheinbar unpolitische Gemeinschaften gebildet, die sich aber in einem bestimmten Moment zusammenfinden können, um sich dem Widerstand anzuschließen. Die Umgestaltung des Lebensstils von Frauen wird weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft haben, und im gegenwärtigen Kontext wird dies in erster Linie von den eigenen Entscheidungen der Frauen abhängen. Ich schätze die Entscheidung einer Frau, unverheiratet und kinderlos zu bleiben, als Strategie der gewaltlosen Nicht-Kooperation mit dem Staat, aber was ich in erster Linie schätze, ist, dass Frauen die Freiheit erlangen, die sie für sich selbst wünschen, und zweitens, dass sie diese Freiheit nutzen können, um zu Veränderungen beizutragen, die sie sich noch nicht vorstellen können. Wenn man sich mit dem chinesischen Feminismus beschäftigt, ist man oft entmutigt, gelegentlich ermutigt und immer verwirrt. (...)

Made in China Journal 9.11.2023

*Lü Pin ist freiberufliche Autorin und setzt sich seit Ende der 1990er Jahre für die Rechte der Frauen ein. Im Jahr 2009 gründete sie Feminist Voices, die erste und seinerzeit größte feministische Plattform der digitalen Medien in China.

Eine individuelle Internetkampagne:

Am 29. Dezember veröffentlichte eine Frau unter ihrem Namen, dass Dai Xiang, Parteisekretär der Guangxi Financing Guarantee Group, versucht habe, sie zu vergewaltigen.
Nach ihren Angaben nahm Dai Xiang am 18. November die Gelegenheit wahr, sie auf einer Geschäftsreise in einem Hotel zu vergewaltigen, wobei sie sich heftig wehrte.
Nach dem Vorfall erstattete sie zwar Anzeige bei den zuständigen Stellen, konnte aber immer noch kein spürbares Resultat erzielen, und nun bittet sie die Internetcommunity, ihr bei der Suche nach Gerechtigkeit zu helfen.

Quelle

Eine Einschätzung der momentanen Situation von der Feministin Leta Hong Fincher* in China Table (gespiegelt bei Capital):

„Es ist ein brutales antifeministisches Vorgehen“

Die Kommunistische Partei Chinas wirft alte progressive Denkweisen über Bord und schickt Frauen zurück an den Herd. Warum das keinen Erfolg haben werde, erklärt die Expertin für Frauenrechte Leta Hong Fincher im Interview.

China.Table: Staatschef Xi Jinping hat kürzlich auf dem nur alle fünf Jahre tagenden Plenum des chinesischen Frauenverbands zu einer neuen Gebär- und Familienkultur aufgerufen. Funktionäre fordern eine höhere Geburtenrate. Das ist ein neuer Tenor in der KP, die zumindest verbal immer das Banner der Gleichberechtigung geschwenkt hat. Was ist da los?
LETA HONG FINCHER: Das war schon lange abzusehen. Xi hat in der Vergangenheit mehrfach gesagt, dass China eine stärkere „Familienkultur“ und mehr Familienwerte entwickeln müsse. Die KP gibt zwar Lippenbekenntnisse zur Gleichberechtigung ab, doch in Wirklichkeit drängt die Partei – die natürlich männerdominiert ist – seit vielen Jahren darauf, dass die Frauen ins Haus zurückkehren und ihre Pflichten als Ehefrauen und Mütter wahrnehmen.
Sie haben vor zehn Jahren ein Buch zu Frauenrechten in China geschrieben, mit dem Titel „Shengnü“ (剩女), also „Übriggebliebene Frauen“ (Englisch „Leftover Women“), das gerade neu aufgelegt wurde. Woher kommt dieser Begriff?
Eine Propagandakampagne hat diese Bezeichnung für Frauen in ihren späten 20ern, die immer noch unverheiratet sind, geprägt. Sie wurde ab 2007 über sämtliche Kanäle verbreitet. Damals war Hu Jintao Staats- und Parteichef.
Das bedeutet, dass nicht erst Xi die konservative Wende gestartet hat – die ja gewissermaßen im Widerspruch zur sozialistischen Ideologie steht, oder?
Das Konzept der Gleichberechtigung ist durchaus ein wesentlicher Bestandteil des Kommunismus. Besonders ausgeprägt war dies in China, schließlich sagte Mao Zedong einst den berühmten Satz: „Frauen tragen die Hälfte des Himmels“. Die chinesische Revolution war viel feministischer als andere sozialistische Revolutionen. Das hängt mit der Revolutionsgeschichte vor dem Kommunismus zusammen, um die Wende zum 20. Jahrhundert.
Wie äußerte sich dieses feministische Element?
In der frühen kommunistischen Ära bekamen die Frauen Arbeitsplätze zugewiesen, und sie mussten auf dem Land arbeiten. Das ist ein sehr starkes feministisches Erbe und ein Erbe der Vollbeschäftigung für Frauen. Die Sowjetunion hatte diesen Weg seinerzeit sogar kritisiert. Viele der Frauen, die in der Mao-Ära gearbeitet haben, leben heute noch, daher ist dieses Element des Feminismus in den Familiengeschichten verankert. Die Frauen waren berufstätig und einige von ihnen erreichten sogar hohe Positionen in der Regierung oder wurden bedeutende Geschäftsfrauen – sie alle repräsentieren die Geschichte des kommunistischen Chinas. Für die Partei ist es nun äußerst schwierig, dieses Element zu bekämpfen, da diese Frauen Mitglieder der kommunistischen Partei sind. Sie sind überall präsent.
Trotzdem vollzieht die Partei den Schwenk hin zu einer traditionelleren Rolle der Frauen. Liegt das vor allem an der seit Jahren sinkenden Geburtenrate? Die Partei hat parallel die Ein-Kind-Politik aufgehoben; heute gilt eine Drei-Kind-Politik.
Die sinkenden Geburten- und Heiratsraten zeigen, dass junge Frauen, vor allem solche mit Hochschulabschluss, eine ehe- und geburtenfördernde Politik ablehnen. Das ist die größte Veränderung im letzten Jahrzehnt. Und der enorme demografische Wandel ist das Ergebnis einer sich ändernden Haltung der jungen Frauen. (...)
Wie ist es mit der Abtreibung, die derzeit ja legal ist und früher sogar gefördert wurde?
Natürlich stellt sich diese Frage. Wird die Regierung Schwangerschaftsabbrüche erschweren? Ich halte das für durchaus möglich. Xi Jinping ist ein Diktator; wenn er wollte, könnte er einfach sagen, lasst uns die Abtreibung verbieten und jungen Frauen den Zugang zu Verhütungsmitteln erschweren. Aber das wäre eine äußerst schlechte Idee, denn ich glaube, es würde nach hinten losgehen.
Was ist die Rolle der Älteren? Üben sie auch Druck auf die jungen Frauen aus? Ausgerechnet diejenigen, die zur emanzipierten Generation gehören?
Hier spielen die Macht der Kommunistischen Partei und des Staates ebenfalls eine Rolle. Nach meinen Recherchen glaube ich nicht, dass dies ein kulturelles Phänomen ist. Ich weiß, dass die ältere Generation, Eltern und andere Verwandte, die ihre jungen Töchter oder Nichten drängen, zu heiraten und Kinder zu bekommen, dies als Teil einer gemeinsamen Bemühung tun: Denn sie werden von der Regierung zunehmend dazu angehalten. (...) Und ich denke, dass dies ein wesentlicher Weg für die KP sein wird, sich stärker in Familienangelegenheiten einzumischen. Ich habe gelesen, dass örtliche Regierungsbeamte Frischvermählte anrufen und fragen, ob die Frau schwanger ist. Ich denke, so etwas wird künftig noch mehr werden. (...)
Scheidung war früher erstaunlich einfach in China.
Das war in der Vergangenheit so. Aber die Regierung macht es nun Frauen äußerst schwer, sich scheiden zu lassen. Sie führte im Jahr 2021 eine Karenzzeit für Scheidungen ein. Zudem ist es seit einigen Jahren viel schwieriger, sich scheiden zu lassen, wenn der Mann der Scheidung nicht zustimmt. Das gilt selbst dann, wenn der Ehemann nachweislich seine Frau misshandelt hat. Ledige Frauen schreckt das davon ab, überhaupt zu heiraten.
Die Sozialmedien haben eine große Rolle dabei gespielt, den Feminismus zugänglicher zu machen oder auch Fälle von Belästigung anzuprangern. Seither hat die Zensur stark zugenommen. Wie sehr leidet die feministische Online-Bewegung darunter?
Trotz eines sehr aggressiven antifeministischen Vorgehens ist es der Regierung nicht gelungen, den Feminismus auszurotten. Weil er so populär ist. Das meine ich, wenn ich sage, dass China kein totalitäres System ist. Es ist sehr autoritär, und unter Xi ist es noch viel repressiver geworden. Zudem werden feministische Bewegungen und die Rechte der Frauen im Internet viel stärker zensiert als früher. Aber solche Inhalte sind heute viel stärker verbreitet.
Was bewirkt das?
Solange das Internet nicht komplett abgeschaltet ist, wird es immer Räume für feministische Diskussionen geben. Feministischen Stimmen werden oft von frauenfeindlichen, nationalistischen Stimmen übertönt. Doch die Stimmen der Frauen sind immer noch da, sie sind einfach in der Überzahl. Bekannte feministische Benutzerkonten werden immer wieder gelöscht. Aber es gibt so viele junge Frauen, die neue Konten eröffnen. Es ist ein brutales antifeministisches Vorgehen, aber es reicht nicht aus, um die feministischen Tendenzen bei den jungen Frauen zu unterbinden. (...)

Capital 23.12.2023

*Leta Hong Fincher ist Soziologin, US-amerikanische Autorin und Expertin für Frauenrechte in China. Sie hat lange als Journalistin in China gearbeitet. Die kürzlich zum 10. Jubiläum ihres ersten Buches erschienene aktualisierte Ausgabe „Leftover Women: The Resurgence of Gender Inequality in China“ wurde von der China Books Review zu einem der besten Bücher des Jahres 2023 gekürt. Außerdem schrieb sie das Buch „Betraying Big Brother: The Feminist Awakening in China“.

Der harte Kurs der KP Chinas ist auch Ausdruck einer Hilflosigkeit dem weiblichen Teil der Bevölkerung gegenüber, der sich Kinderkriegen und Reproduktionsarbeit nicht befehlen läßt und sich nicht den demografischen Plänen der Regierung unterwerfen will. Trotz Aufhebung der Einkind-, dann der Zweikindpolitik und Verbesserungen der Situation junger Mütter, bleibt es bei der niedrigen Geburtenrate. Man spricht von einem Gebärstreik. Frauen spielen nicht nur traditionell eine wichtige Rolle in der Arbeitswelt, sie schlagen sich mutig in den Auseinandersetzungen des Alltags, auch ohne sich als feministisch zu definieren.  Frauen stehen in den sozialen Kämpfen an vorderster Front:

Kochtopfprotest gegen Bauspekulanten in Heze City, Shandong

Es gibt Industriearbeiten, die hauptsächlich von Frauen verrichtet werden. Arbeiterinnen sind nicht weniger streikfreudig als Männer.

Streik bei Elif Electronics Ltd.in Shenzhen
Bei einem Streik bei einem Bauunternehmen in Zhangjiakou (Provinz Hebei) fällt ein relativ hoher Anteil an Bauarbterinnen auf

Bei Arbeitskämpfen und Protesten nehmen Frauen auch führende Rollen ein.

Lehrerprotest in der Provinz Shaanxi 
Eine Bäuerin als Wortführerin bei einem Protest bei der Provinzregierung

Frauen findet man auch in den militanten Auseinandersetzungen in China.

An vorderster Front gegen die Staatsmacht
Bäuerinnen kämpfen mit Hacken und Spaten gegen die Polizei

[Bildquellen: ganz oben, historisches Propagandaplakat, alle anderen sind Standbilder aus Videos des Bloggers Lu Yuyu]