May 27, 2019

Grenzüberschreitend

Es ist eine Binsenweisheit, daß das Kapital global operiert. Wir wissen jedoch viel zu wenig über grenzüberschreitende Diskussionen und Kämpfe der Ausgebeuteten.

Grenzüberschreitend

Unser Workshop in Mannheim  im Mai 2019 beschäftigte sich nicht nur mit chinesischen Investitionen in Deutschland, sondern auch mit dem Austausch der einfachen Menschen über nationale Grenzen hinweg und den Auswirkungen auf gesellschaftliche Auseinandersetzungen und Kämpfe.

Au Loongyo aus Hongkong wies darauf hin, daß es ein großes Interesse deutscher Arbeiter für die Situation ihrer Kollegen in China gäbe und man zeige auch Solidarität, doch vieles davon käme aus einer Haltung des Mitleids für die Opfer schlimmer Verhältnisse und einer repressiven Regierung. Die Beschäftigten beider Länder müßten noch lernen, daß ihr Schicksal enger miteinander verknüpft ist, als sie ahnen. Alles, was in der Arbeitswelt Chinas passiert, hat auch direkte Auswirkungen hier.

Es ist wichtig zu verstehen, wie sich Diskussionen und Kämpfe in China verändert haben, denn sie verlaufen schon längst grenzüberschreitend. Um die Entwicklung zu beschreiben, hilft der Blick einige Jahrzehnte zurück. Die Proteste 1989 auf dem Tiananmen Platz waren hauptsächlich von Studenten getragen und die hatten zu dieser Zeit noch eine große Distanz zu Arbeitern. Als Abordnungen von Arbeitern sich den Protesten anschließen wollten, wurden sie fortgeschickt und durften sich nicht auf der Hauptbühne der Protestveranstaltung präsentieren. Sie mußten sich in einiger Entfernung eine eigene Bühne errichten. Die Studenten hielten die Arbeiter für reaktionär oder zumindest konservativ und glaubten, sie würden ihre Forderungen nach mehr Freiheit nicht verstehen.

Vor etwa einem Jahrzehnt erfuhr die politische Diskussion neue Impulse und veränderte sich spürbar. Die auf die Wirtschaftskrise folgenden Proteste, die Versammlungen auf öffenlichen Plätzen in Spanien, der Arabische Frühling und die Occupy Wallstreet Bewegung beeinflußten einander und inspirierten weitere Protestbewegungen rund um den Erdball. Die Occupy Wallstreet Bewegung hatte Auswirkungen auf die Diskussionen chinesischer Schüler und Studenten. Die Regenschirm Proteste in Hongkong bezogen sich mit ihrem Namen "Occupy Central" auf diese Bewegung.

Für die Studierenden war es etwas neues, sich mit der Sozialen Frage auseinanderzusetzen. Eine chinesische Aktivistin, die seinerzeit selbst noch studierte, beschrieb es so: "Es hatte sich damit viel geändert. Zuvor war die Bewegung eine eher liberale. Es ging um persönliche Freiheiten. Heute ist es eine weit mehr marxistisch ausgerichtete Bewegung. Es geht um Klassenkampf." Studierende haben nicht nur ein Interesse an der Sozialen Frage, sie interessieren sich auch für Arbeiter, deren Probleme und Kämpfe. Studierende haben Lesekreise gebildet, um Marx zu lesen und man geht nicht nur auf Arbeiter zu, um mit ihnen zu sprechen, man geht auch in Betriebe, um die Bedingungen dort direkt kennenzulernen.

Das ist zwar keine Massenbewegung, doch diese Tendenzen machen die Chinesische Regierung nervös und läßt sie mit Repression reagieren. Teilnehmer*innen der Marx-Lesekreise wurden verprügelt und auch inhaftiert. Der Arbeitskampf bei Jasic, bei dem die Beschäftigten nicht nur öknomische Verbesserungen forderten, sondern auch eine eigene gewerkschaftliche Vertretung, wurden von Studentenaktivist*innen verschiedener Unis unterstützt. Auch hier reagierte der Staat mit Repression.

Der Chinesischen Regierung ist klar, daß es unmöglich ist, die zahlreichen Arbeitskonflikte im Land mit repressiven Maßnahmen zu unterbinden. Sie konzentriert sich nun darauf, die Kommunikation und Vernetzung im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen zu be- und verhindern. Das Ausmaß an Zensur und Repression ist enorm und der Austausch zwischen Arbeiteraktivst*innen durch wechselseitige Besuchsrundreisen, wie sie das Forum Arbeitswelten organisiert hatte, sind heute nicht mehr durchführbar.

Es ist der chinesischen Regierung nicht mehr möglich, die Menschen von allen Informationen und Kontakten abzuschotten, nachdem das Interesse der Menschen an der Situation außerhalb des eigenen Landes erst einmal geweckt worden ist. Die Bilder einer Solidaritätsbekundung bei den G20 Protesten in Hamburg für Leiharbeiterproteste bei VW in Changchun machten die Runde in chinesischen sozialen Medien und befeuerte die Wiederaufnahme ihres Kampfes. Weitere Solidaritätsaktion vor mehreren VW Werken in Deutschland und das dadurch ausgelöste mediale Interesse machten Druck auf den Konzernbetriebsrat und das Management. Die Übernahme von 900 Leiharbeitern in die Stammbelegschaft zu einem etwa doppelt so hohen Lohn, kann als Teilsieg der grenzüberschreitenden Proteste verbucht werden, auch wenn nicht alle Forderungen erfüllt worden sind.

Auch aktuell gibt es ein Beispiel, wie sich die Diskussion über Arbeitszeiten nicht von nationalen Grenzen aufhalten läßt. Die Diskussion von Programmierern in der US-Amerikanischen IT Branche über "996 Arbeitszeiten" (arbeiten von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, 6 Tage die Woche) wurde von Programmierern in China verfolgt und fortgeführt. Ali Baba Chef Jack Ma goß Öl ins Feuer mit seiner Aussage,  „Wer bei Alibaba anfängt, sollte bereit sein, zwölf Stunden am Tag zu  arbeiten. Wir brauchen  diejenigen nicht, die bequem acht Stunden arbeiten.“ Die Diskussion in den Sozialen Netwerken schwappte bis in die Staatsmedien.  Die „China Daily“ schrieb, „Viele Tech-Firmen haben Todesfälle von Angestellten, die auf lange  Überstunden zurückzuführen sind“ und die „South China Morning Post“ titelte „Kein  Schlaf, kein Sex, kein Leben“. Diese Diskussion zog weitere Kreise und es gibt inzwischen Übersetzungen der Beiträge aus den Chinesischen Sozialen Medien auch auf Türkisch und Finnisch.

Das Bild ganz oben zeigt einen Teil der Workshopteilnehmer beim Posieren für ein Foto mit einer Solidaritätsbekundung für die Opfer der Repression im Jasic Konflikt. Auch dieses Bild wird den Weg in die Sozialen Netwerke Chinas finden.