Ich fahr Pakete aus in Peking
Arbeiterliteratur wurde zu einem Bestseller in China, in 15 Sprachen übersetzt und erschien nun im Suhrkamp Verlag

[Foto oben: Unsplash]
The Economist berichtet:
Die größte Arbeiterschaft der Welt hat einen außergewöhnlichen Wandel durchlaufen. Zu den Bauern und Industriearbeitern Chinas ist eine Armee von Gig-Workern hinzugekommen. Millionen von Menschen nutzen heute Online-Plattformen, um Jobs für kurze Zeiträume zu finden. Ganze 200 Millionen Menschen, also 40 % der städtischen Erwerbsbevölkerung, sind auf irgendeine Form von flexibler Arbeit angewiesen.
Aus dieser Welt der prekären Arbeit ist nun ein autentischer Bericht erschienen, der zu einem unerwarteten literarischen Erfolg wurde:
»So einen kometenhaften literarischen Aufstieg gab es selten. Aber Hu Anyan trifft schlicht einen Nerv. Ich fahr Pakete aus in Peking ist ein Memoir von beindruckender Tiefe und Integrität.«
Zhengguan News
Aus der Beschreibung der Veröffentlichung des Suhrkamp Verlags:
Ich fahr Pakete aus in Peking ist ein intimer Bericht über ein Leben als Niedriglohnarbeiter in den anonymen Megastädten des heutigen China. Und gibt zum ersten Mal den Blick frei auf die Massen, die von den gesellschaftlichen Realitäten, von der Art des Wirtschaftens, von der Staatsgewalt, an den Rand, in die Armut, ins Vergessen gedrängt werden.
...und über den Autor schreibt der Verlag:
In den zwanzig Jahren nach seinem Highschool-Abschluss hatte Hu Anyan neunzehn verschiedene Jobs. Er arbeitete unter anderem als Verkäufer im 24h-Markt, als Fahrradmechaniker, Pakete-Kurier, Sicherheitsmann, im Logistikzentrum, der Tankstelle, der Kantinenküche. Er zog von einer chinesischen Großstadt zur nächsten, jedes Mal weiter, wenn die Arbeit unerträglich und der Boss zu bossy wurde, und richtete sich wieder in einem winzigen Zimmer ein, mit nicht mehr als seinen zerlesenen Ausgaben von Tschechow und Carver. Von der Psychologie der Hackordnung in einer gigantischen Sortierhalle für Pakete über die kafkaeske Bürokratie der Personalabteilungen bis hin zur idealen Gestaltung einer Lieferroute – mit aufrichtiger Neugier und trockenem Humor erzählt Hu Anyan unerhörte Geschichten der Menschlichkeit vor dem Hintergrund größter Schinderei.

Erschienen: 13.10.2025, 295 Seiten, 23€, ISBN 978-3-518-47515-7
Eine Kritik im ChinaHirn Blog befaßt sich mit der Frage der literarischen Qualität von Arbeiterliteratur:
Einer dieser Gig-Arbeiter ist Hu Anyan, 46 Jahre alt, aus der Provinz Guangdong stammend. Er sticht aus der Masse der – Marx würde sagen – industriellen Reservearmee Chinas hervor. Hu liest nämlich in seiner kargen Freizeit, und zwar die schweren Brocken wie zum Beispiel James Joyce. Oder auch Franz Kafka. Sein Faible für Literatur ließ ihn selbst zum Literaten werden. Zunächst schrieb er neben seiner Arbeit nur für Literaturblogs. Dort fiel er den beiden Journalisten Feng Junhua und Peng Jianbin auf, die ihm vorschlugen, doch ein Buch über seine Erfahrungen zu schreiben, nachdem er 2020 seinen Job als Kurierfahrer quittiert hatte.
Obwohl er von sich behauptet, dass er kein natürliches Talent zum Schreiben habe, folgte er dem Rat der beiden Journalisten und schrieb ein Buch. Und prompt wurde es ein Bestseller. Es stand beim Bewertungsportal Douban auf Platz Eins und wurde inzwischen in 15 Sprachen übersetzt, darunter jetzt auch dank dem Suhrkamp Verlag, in Deutsch. Damit wird auch deutschen Lesern der Blick in die unteren Schichten der chinesischen Gesellschaft ermöglicht. Dort hat sich seit seinem Abgang von der Schule Hu Anyan herumgetrieben. In 19 verschiedenen Jobs hat er sich verdingt. Er war Bedienung in einem Hotel, Aushilfe in einer Tankstelle, Bäcker, Graphikdesigner in einem Manga-Verlag und vieles mehr. Zwischendurch machte er sich als Modehändler selbständig, ehe er zuletzt als Kurierfahrer in Beijing arbeitete. Dieser Tätigkeit verdankt das Buch auch seinen Titel: „Ich fahre Pakete aus in Peking“. Über dieser Zeit berichtet er sehr ausführlich und in einer sehr verständlichen Sprache (von Monika Li bestens übersetzt). Das Buch erinnert mich an die Industriereportagen von Günter Wallraff – mit dem großen Unterschied, dass sich Hu nirgendwo eingeschlichen hat, sondern diese Demütigungen der Arbeitswelt jahrelang ertragen musste, um schlicht zu überleben.
