July 4, 2022

Trolle und Zensoren im chinesischen Internet

Trotz massiver Überwachung und Zensur spielen die Sozialen Medien eine wichtige Rolle in der Kommunikation der chinesischen Bevölkerung

Trolle und Zensoren im chinesischen Internet

Die Rache der Trolle

Eine neue Generation von Internetaktivisten wetteifert in China um den aggressivsten Nationalismus. Inzwischen überholen die Trolle selbst die Staatspropaganda.

Zeit 1.9.2021

Alt-Right findet neue Partner für Hass im chinesischen Internet

Populisten und Nationalisten verbreiten antimuslimische und antifeministische Botschaften - unterstützen aber auch die Linie der Kommunistischen Partei
In den ersten Tagen des US-Wahlkampfs 2016 begann Fang Kecheng, ein ehemaliger Journalist der linksliberal ausgerichteten chinesischen Zeitung Southern Weekly und späterer Doktorand an der Universität von Pennsylvania, Donald Trumps Äußerungen zu Flüchtlingen und Muslimen in chinesischen sozialen Medien zu überprüfen, in der Hoffnung, der Berichterstattung über den Präsidentschaftskandidaten in China einen zusätzlichen Kontext zu verleihen. Doch seine Bemühungen stießen im chinesischen Internet schnell auf heftige Kritik.
Einige warfen ihm vor, ein "weißer Linker" zu sein - ein beliebtes Schimpfwort für idealistische, linke und westlich orientierte Liberale; andere bezeichneten ihn als "Jungfrau", ein "blutendes Herz" und einen "weißen Lotus" - abwertende Ausdrücke, die Gutmenschen beschreiben, die sich um die Unterprivilegierten kümmern -, als er versuchte, die Rechte der Frauen zu verteidigen.
"Das war absurd", sagte Fang, der heute Journalismusprofessor an der Chinesischen Universität Hongkong ist, dem Observer. "Wann wurde die Fürsorge für benachteiligte Gruppen zum Grund, um gescholten zu werden? Seit wann ist Sozialdarwinismus so gerechtfertigt?"
Ungefähr zur Zeit von Trumps Wahlsieg begann er, auffällige Ähnlichkeiten zwischen der "Alt-Right"-Gemeinschaft in Amerika und einer Gruppe von Social-Media-Nutzern, die im chinesischen Internet posten, zu bemerken. (...)
Während der Präsidentschaft Trumps und unmittelbar nach dem Brexit-Votum 2016 begannen Forscher auf beiden Seiten des Atlantiks, den Aufstieg der Alt-Right im englischsprachigen Cyberspace genau zu untersuchen. Im chinesischen Internet zeichnete sich zur gleichen Zeit ein ähnlicher Trend ab, wobei einige beobachteten, dass die chinesische Online-Gruppe zusätzlich häufig einen nationalistischen Ton anschlug und zu staatlichem Eingreifen aufrief.
In einer kürzlich veröffentlichten Arbeit, die er gemeinsam mit Tian Yang, einem Kollegen der University of Pennsylvania, verfasst hat, analysierte Fang fast 30 000 rechtsextreme Beiträge im chinesischen Internet. Sie entdeckten, dass die Nutzer nicht nur inländische, sondern auch globale rechtsextreme Beiträge teilen. Viele der Themen, so fanden sie heraus, wurden von in den USA lebenden chinesischen Einwanderern eingebracht, die sich von der progressiven Agenda der amerikanischen Linken desillusioniert fühlten.(...) Laut Fang und Yang ist Islamophobie das Hauptthema unter Chinas Alt-Right.
(....) "Sie schilderten eine konfrontative Beziehung zwischen den Han - der dominierenden ethnischen Gruppe in China - und anderen ethnischen Minderheiten, insbesondere den beiden muslimischen Minderheiten - den Hui und den Uiguren." Er fügte hinzu: "Es ist genau die gleiche Logik und das gleiche Mainstream-Narrativ, das von der Alt-Right in den USA verwendet wird: arme weiße Männer aus der Arbeiterklasse werden von Einwanderern und Minderheiten ausgenutzt."(...) Antifeminismus ist ein weiteres Thema, das von der chinesischen Online-Rechtsaußenpartei häufig diskutiert wird. (...)
Und im April wurde Xiao Meili, eine bekannte chinesische feministische Aktivistin, heftig beschimpft, nachdem sie ein Video online gestellt hatte, in dem ein Mann sie mit heißer Flüssigkeit bewirft, nachdem sie ihn gebeten hatte, mit dem Rauchen aufzuhören. In einigen der Nachrichten wurden sie und andere - ohne glaubwürdige Beweise - als "antichinesisch" und "ausländische Kräfte" bezeichnet. Andere sagten: "Ich hoffe, du stirbst, Schlampe" oder "Kleine Schlampe, scheiß auf die Feministinnen". (...)
King sagt, dass die chinesische staatliche Zensur bei der Überwachung solcher Inhalte ebenfalls einen schmalen Grat beschreitet: "Die 'Alt-Right' neigen dazu, die kommunistische Parteilinie in den meisten Dingen zu unterstützen. Sie sehen China als Bollwerk gegen die zersetzende Kraft des westlichen Liberalismus".
Aber ihre Online-Rhetorik hat auch Offline-Folgen, warnte er: "Dinge wie ethnische Ressentiments sind etwas, das sich unter der Oberfläche abspielt und das man nicht schüren darf. Wenn sie explodieren, ist das sehr hässlich."

Guardian 11.9.2021

Chinas Internetplattformen geben den Standort ihrer Nutzer preis - und bringen nationalistische Blogger in Verlegenheit

Nachdem einige chinesische Social-Media-Plattformen damit begonnen hatten, die Standorte ihrer Nutzer anhand von Internetprotokolldaten anzuzeigen, stellte sich heraus, dass einige der nationalistischsten Online-Persönlichkeiten des Landes eines gemeinsam haben: Sie sind alle im Ausland.
Vom chinesischen Schauspieler Wu Jing, dessen Wolf Warrior-Filmreihe zu einem wichtigen Symbol des chinesischen Nationalismus geworden ist, bis zu Lian Yue, einem patriotischen Kolumnisten, der geschworen hat, "niemals aus China auszuwandern", befinden sich die angezeigten Standorte in Ländern wie Thailand bzw. Japan. Die Enthüllung veranlasste viele dazu, sich über die Influencer wegen ihres so genannten "Offshore-Patriotismus" lustig zu machen, ein Begriff, der für diejenigen verwendet wird, die China aggressiv von ihren ausländischen Wohnsitzen aus verteidigen. (...)
Sogar Di Ba, eines der größten nationalistischen Foren Chinas, das massenhafte Online-Attacken gegen Demonstranten in Hongkong organisiert hat, sah sich heftiger Kritik ausgesetzt, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sein Standort auf Weibo in Taiwan liegt.
(...) Ironischerweise war die Offenlegung der IP-Adressen der Nutzer eine Forderung vieler Nationalisten, die Regierungskritiker oft als ausländische Spione oder Trollarmeen bezeichnen, die von ausländischen Regierungen, insbesondere den USA, angeheuert wurden. (...)

Quartz 12.3.2021

Das Chip Magazin beschreibt die momentanen technischen Bedingungen der Onlinekommunikation in China

Selbstverständlich will aber die chinesische Bevölkerung ähnlich ungern auf digitale Kommunikation oder Unterhaltung verzichten wie diejenige in Amerika oder Europa.

in diesem deutschprachigen Artikel: Chip 3.2.2022

Chinesische User wehren sich gegen Internet-Zensur

China hat eines der strengsten Zensurgesetze der Welt. Und doch kam es in der Nacht auf Samstag zu einer Protestwelle in den sozialen Medien, die Zensoren kamen kaum nach mit dem Löschen. Der Auslöser: Ein kurzer Internetfilm, der die Behörden für den Lockdown kritisiert und einen Nerv getroffen hat.
(...) Überfüllte Spitäler und Quarantänezentren, Proteste von aufgebrachten Menschen, denen die Lebensmittel ausgegangen sind: Schonungslos listet der 6-minütige Film das Versagen der Regierung chronologisch auf. Doch schon bald greifen die Zensoren ein; und löschen den Film. Soweit so gewohnt in China.
Doch: Dieses Mal geben sich die Userinnen und User nicht geschlagen. In ihren privaten Wechat-Konten laden sie den Film immer wieder hoch, die Internet-Zensoren kommen teilweise kaum nach mit Löschen. Und die chinesischen Userinnen sind kreativ: Einige laden das Video auf dem Kopf stehend hoch – damit es nicht so schnell entdeckt wird. Andere betten den QR-Code des Videos in Filmplakate ein.
Heute früh war das meiste wieder gelöscht, die Videos und Postings sind noch auf YouTube und Twitter zu sehen – Plattformen, auf die die chinesischen Zensurbehörden keinen Zugriff haben; Plattformen jedoch, die in China allesamt gesperrt sind. Denn für Kritik an Chinas Covid-Politik, und sei sie noch so berechtigt, gibt es keinen Platz. Das zensierte Video endet übrigens mit einem Wunsch: «Gute Besserung, Shanghai!»

SRF 23.4.2022