August 25, 2020

„Ist China sozialistisch?“

fragte der AStA der Humbold Universität Berlin die Politikwissenschaftlerin Renate Dillmann

„Ist China sozialistisch?“

Sie antwortete mit folgendem Vortrag:

Zu dieser Frage bin ich hierher eingeladen worden – und zu ihr möchte ich zunächst einmal einige Bemerkungen machen...
• Der erste Grund liegt darin, dass sich Chinas Führung nach wie vor „kommunistisch“ nennt und dass sie ihr Regime über das Land nach wie vor nicht nach demokratischer Manier veranstaltet.
Dazu möchte ich zwei Thesen formulieren:
1. Dass die chinesische KP sich nicht von diesen Etiketten „kommunistische Partei“ oder „sozialistische Volksrepublik“ verabschiedet, zeigt gewissermaßen rückwärts, was sie im Prinzip schon immer darunter verstanden hat: Sozialismus ist, wenn sie, die Partei, die Politik führt, das Volk in Wert setzt, die Produktivkräfte entwickelt und China damit wieder zu der ihm „gebührenden“ Stellung in der Konkurrenz der Nationen führt.
Von diesem Zweck aus erscheinen ihr die frühere sozialistische Planwirtschaft und das heute geltende, der „Sozialismus chinesischer Prägung“ (so nennt sie ihren Kapitalismus) wirklich wie bloß unterschiedliche Wege, ihn zu erreichen.
2. Dass sie die Einführung des Kapitalismus nicht mit einer politischen Liberalisierung verbunden hat, hat im Kern denselben Grund. Weil sie die ökonomische Modernisierung und die Öffnung Chinas zum Weltmarkt partout zum Mittel eines nationalen Aufstiegs machen will, achtet diese Partei mit aller ihr zur Verfügung stehenden Gewalt darauf, dass die Phase des Umbruchs, das Aufkommen neuer gesellschaftlicher Widersprüche durch Enteignung, neue Existenznöte usw. unterm Strich zu einem Mittel der Nation wird – und nicht nur ein paar Immobilienmakler reich werden oder die USA und Europa sich an China dumm und dämlich verdienen.
• Der zweite Grund für die Frage liegt gar nicht in China, sondern in der linken Bewegung hier. Wie immer sucht die Linke nämlich auch am Fall China Anhaltspunkte dafür, ob es irgendwo in der Welt eine Kraft gibt, die ihrer hierzulande ohnmächtigen Kritik Respekt verschaffen könnte.

Renate Dillmann schloß ihren Vortrag mit folgenden Worten:

In China hat eine Kommunistische Partei ein Staatsprojekt aufgezogen, mit dem sie für ökonomische Entwicklung, soziale Gerechtigkeit und eine volksfreundliche Herrschaft sorgen wollte. All das ist keine wirkliche Absage an Kapitalismus und Demokratie und führt zu allen möglichen systemischen Widersprüchen. Gleichzeitig hat sie dieses sozialistischvolksfreundliche Projekt in die Pflicht genommen für einen Wiederaufstieg Chinas in der Konkurrenz der Nationen, auch wenn sie sich den anfangs ziemlich idealistisch vorgestellt hat. Dieses Interesse und die aus diesem Ziel entspringende Unzufriedenheit mit ihrer sozialistischen
Ökonommie hat die chin. Führer dazu gebracht, sich 1978 Kapitalismus und Weltmarkt zuzuwenden. Bei der Zurichtung ihres Volks für dieses Programm und bei ihren ersten Schritten in der ökonomischen und politischen Konkurrenz der Staaten haben sich der sture Nationalismus und das Beharren auf der Kontrollmacht der Kommunistischen Partei bisher als wuchtige Mittel erwiesen. Das feiern letztendlich Teile der Linken, wenn sie meinen, dass China (bei allen Abstrichen) doch ein 3. Weg, eine sozialistische Alternative oder irgendetwas ähnliches ist.

Das komplette Redemanuskript aus dem Jahr 2010 kann man auf unserer Homepage nachlesen.

Von der gleichen Autorin findet sich auf unserer Webseite der Beitrag: Warum ist der chinesische Sozialismus gescheitert?

Ergänzung vom 20.12.2020:

In Rahmen der The Red Thread Veranstaltungsreihe hat Ralf Ruckus den Vortrag "Chinas kommunistischer Weg in den Kapitalismus" gehalten. Vortrag und Diskussion können als 96 minütiges Youtube Video abgerufen werden.