February 3, 2020

Medienkampagnen gegen China

Sie haben einen simplen Grund. Die Volksrepublik ist zu einem ernsthaften Konkurrenten um Weltmarktanteile herangewachsen.

Medienkampagnen gegen China

Eine Einschätzung der Chinaberichterstattung von Renate Dillmann

Banken müssen (wieder) laufen, die Wirtschaft muss wachsen, und dafür müssen unten die entsprechenden Opfer erbracht werden. Weil es das in China nicht gibt, lasse sich der ganze Staat dort auf eines zusammenschnurren: Er unterdrückt, er ist (was man hierzulande an keiner Maßnahme entdecken will) Gewalt gegen seine Gesellschaft – und dieses ziemlich eindimensionale Urteil lässt sich natürlich wieder unterschiedlich illustrieren:
– Niemand braucht zu wissen, wie viele Zeitungen es in China gibt und schon gar nicht, was in ihnen drinsteht, um in einer Frage ganz sicher zu sein: In der Volksrepublik wird die Pressefreiheitmit Füßen getreten. (Umgekehrt wundert sich anscheinend niemand darüber, dass unsere freie Presse ganz ohne jede Zensur die immer gleichen Kommentare produziert – und das nicht nur zu China.)
– Jeder weiß, dass China gemein mit seinen Oppositionellen verfährt, ob mit seinem Nobelpreisträger Liu Xiaobo, dem Künstler Ai Weiwei oder den Demonstranten in Hongkong.
Ganz im Unterschied zu hiesigen Verhältnissen, wo erklärte Systemgegner bekanntlich als willkommene Bereicherung des Meinungsspektrums
aufgefasst und in jede Talkrunde eingeladen werden. Und nebenbei: wo ein Ai Weiwei sofort zum Außenseiter wurde, als er von China- auf Deutschland-Kritik umschaltete.
– Während bei uns »islamische Fundamentalisten« und ihre störenden Parallelgesellschaften völlig zu Recht ins Visier genommen, verfassungsrechtlich einwandfrei als Terroristen bekämpft und öffentlich diffamiert werden, stellen wir uns in China ganz selbstverständlich auf die Seite der nationalen Minderheiten der Uiguren und Tibeter, deren separatistische Forderungen und gewaltsame Unruhen so eindeutig wie sonst nirgends auf der Welt gegen die böse Zentralgewalt sprechen.
Ökonomische Ausbeutung, rücksichtsloser Umgang mit der Natur, Korruption, ein ausgeprägtes staatliches Überwachungsbedürfnis und Repression gegenüber Oppositionellen und Separatisten, außenwirtschaftliche Expansion, militärische Aufrüstung (die ja nicht China erfunden hat, geschweige denn, dass es die größte
Militärmacht ist") und geostrategische Positionierung, ja selbst die patriotische Begeisterung des Volks für seinen Staat (die man hier permanent einfordert) – im Falle China wird all das zum außerordentlichen Skandal stilisiert. Dabei weiß man selbstverständlich in den meisten Fällen sehr genau, dass es die genannten
Hässlichkeiten in ähnlicher Form auch hierzulande gibt und Fälle offener Diskriminierung und politischer Unterdrückung spätestens bei den von Deutschland und der EU unterstützten »befreundeten Regierungen« in Afrika, dem Nahen Osten und in Lateinamerika an der Tagesordnung sind. Doch das sind dann bloß »Ausnahmen«, korrigierbare Fehler, ist staatliches »Versagen«. In China dagegen desavouiert jeder einzelne Kritikpunkt ein für allemal »das System« – zu verbessern ist da nichts, und »konstruktive Kritik«, die bei »uns« ganz selbstverständlich jeder Form von Unzufriedenheit abverlangt wird, kann es nicht geben.
Umgekehrt werden Fakten, die das negative Bild dieses Staats etwas ins Wanken bringen könnten, nicht so gerne in den wichtigen Medien thematisiert. Chinas außerordentliche Erfolge bei der Bekämpfung absoluter Armut oder bei der Zurückdrängung von Wüsten durch Aufforstung passen offenbar nicht so richtig in das Bild, das die Mainstream-Medien vermitteln wollen.2)
Ebensowenig will die deutsche Qualitätspresse sich und ihr Publikum im Falle Chinas mit Analysen und Hintergrundinformationen belasten, die das klare Bild von der geradezu bösartig-repressiven Staatsmacht gegen liebenswerte Uiguren oder Hongkonger Studenten erschüttern könnten. Die Redaktionen der großen Medienhäuser könnten leicht auch selbst herausfinden, was einige linke Journalisten recherchiert haben: terroristische Aktionen uigurischer Fundamentalisten, deren geistige Führer als »Exilregierung« derweil in München sitzen; die zweifelhaften Ziele und das rüde Vorgehen der Demonstranten in Hongkong; die Merkwürdigkeiten um die dortige Galionsfigur Joshua Wong, der seit bereits fünf Jahren Verbindungen zu US-amerikanischen Thinktanks und zur CIA unterhält."3) Doch an der Benennung solcher Ungereimtheiten besteht offenbar kein Interesse. Zusammengefasst lässt sich bei dieser Art selektiver Wahrnehmung, missgünstiger Erklärung und im Grunde (völker-)verhetzender Information inklusive ihrer gebetsmühlenartigen Wiederholung von einem virulenten Feindbild sprechen.
Von der Konkurrenz zur Konfrontation
Ein solches Feindbild entspringt einer sehr realen Konkurrenz und einer tatsächlichen, gerade erwachsenden Feindschaft. Die Gründe dafür liegen einerseits auf der Hand: China ist das neue ökonomische, politische und auch militärische Schwergewicht auf der Welt. Es macht den EU-Europäern, die ihrerseits die Dominanz der USA attackieren wollen, das Leben schwer, und die USA wiederum leiden darunter, dass ihre einzigartige Supermachtstellung angegriffen ist und sie dieses Land nicht in ihre Weltordnung einjustieren können.
Andererseits ist mit diesem lapidaren Befund noch nicht viel erklärt. Denn auf diese Weise wird die gesamte ökonomische und politische Ordnung dieser Welt als gegeben und selbstverständlich unterstellt, da werden Chancen und Risiken der einzelnen Konkurrenten betrachtet, deren jeweilige Strategien erörtert, um sich dann entweder auf die eine oder andere Seite zu schlagen oder unparteilich darüberzustehen. Die wesentliche Frage, warum und um was alle Staaten konkurrieren und wieso sie das immer wieder in ein feindseliges, am Ende
sogar kriegsträchtiges Verhältnis zueinander treibt, bleibt dabei ungeklärt. Ein paar Hinweise müssen hier genügen.
Moderne Staaten leben nicht von Raub oder Plünderung, sondern von dem Wirtschaftswachstum, das sie – zunächst an ihren »Standorten« –
bewerkstelligen. Das aber reicht weder ihren heimischen Unternehmen, die auf grenzenloses Kaufen, Verkaufen und Investieren sinnen, noch ihnen selbst. Auf der Basis wechselseitiger Anerkennung souveräner Staaten haben sie deshalb den gesamten Globus zu einem Weltmarkt als Mittel zu ihrer Bereicherung hergerichtet. Es hat etliche kleine, große und kalte Kriege gedauert, bis es soweit war. Dann erst war der exklusive, »kolonialherrschaftliche« Zugriff auf die Gebiete in Übersee beendet und der »kommunistische Block«, der das Prinzip des freien Kapitalverkehrs ablehnte, überwunden.
Inzwischen gibt es eine weltweit gültige Geschäftsordnung, in der im Prinzip freier Austausch von Waren und Kapital auf der ganzen Erde herrscht. Was damit etabliert wurde, ist allerdings kein Verhältnis wechselseitigen Vorteils, keine Win-win-Situation, wie gerne behauptet wird. Handel und Kapitalverkehr zwischen kapitalistischen Nationen dienen der Bereicherung. Es gibt zwar Phasen, in denen die diversen Regierungen davon schwärmen, dass ihre Handels- und Investitionsverträge allen Beteiligten von Nutzen sind und es für alle aufwärtsgeht. Letztlich aber werden die Erfolge eines Landes auf Kosten eines anderen errungen – das zeigen Handels- und Leistungsbilanzen und vor allem der Verlauf der Währungskonkurrenz. Und irgendwann – spätestens inaufkommenden Krisensituationen – werden sich die Staaten auch dessen bewusst, dass ihre schöne »Kooperation« durchaus ausschließenden Charakter hatte und hat.4)
Ökonomische Kooperation macht also Konfrontation, am Ende sogar eine militärische Auseinandersetzung, keineswegs überflüssig. Die populäre
Vorstellung, dass nicht geschossen wird, solange Handel getrieben wird, ist darin ganz und gar verkehrt.
Denn geschossen wird irgendwann, weil gehandelt wurde. Auch wenn sich die USA bisher an China ungemein bereichert haben, stellt sich für sie inzwischen die Frage, ob sie weiterhin den Nutzenaus China-Geschäft und Welthandel ziehen oder ob sich die Verhältnisse nicht umgedreht haben und China nun stärker profitiert. Zum »friedlichen« Handel gehört die Gewalt notwendigerweise dazu, und zwar von allem Anfang an, damit die Staaten einander überhaupt respektieren und in ein ökonomisches Verhältnis miteinander treten, dann als stetige Begleiterscheinung zur Abwicklung der ökonomischen Interessengegensätze und schließlich als selbständiges strategisches Programm, um im globalen Gewalthaushalt für sich günstige Positionen
zu erobern.5)
Menschenrechte als Waffe
Auch die Bundesrepublik entwickelt – seit geraumer Zeit macht ihre politische Elite das mehr und mehr deutlich – das Bedürfnis nach einer autonomen, vom »Schutz« des amerikanischen Freundes emanzipierten geostrategischen Absicherung ihrer »nationalen Interessen«. Stichwort »Unsere globale Verantwortung«. Dazu gehört dann auch, das inzwischen schon sehr mächtig gewordene China irgendwie »in den Griff zu bekommen« – gerade weil man dieses Land, das inzwischen bereits seit drei Jahren in Folge wichtigster Handelspartner und inzwischen auch drittgrößter Investitionsstandort deutscher Unternehmen ist, ökonomisch unbedingt braucht. Also versucht auch Deutschland, geostrategische Positionen in Asien aufzubauen – als Teilnehmer am Shangri-La-Dialog (dem asiatisch-pazifischen Pendant zur Münchner Sicherheitskonferenz) und als Waffenlieferant an Singapur. Gleichzeitig möchte sich Berlin von der US-amerikanischen »Konfrontationspolitik« absetzen.
Bei der ist man erstens nicht gefragt worden,und man hält sie zweitens auch nicht unbedingt für förderlich, schon allein deshalb, weil angesichts bestehender Uneinigkeit in der EU und mangelnder eigener Mittel kein hinreichend großer Einfluss auf China genommen werden kann.6)
Um so wichtiger ist es, wenn Deutschland seine diplomatischen Verhandlungspositionen mit einigen kleinen Druckmitteln unterfüttern kann, die der chinesischen Regierung die Verletzbarkeit ihres Erfolgswegs vor Augen führen: Neben der bewährten Menschenrechtswaffe (der Klage über mangelnde Pressefreiheit und schlechte Behandlung der Oppositionellen) kommen vor allem die bereits latent bestehenden Separatismusprobleme in Xinjiang und Tibet sowie neuerdings in Hongkong aufs Tableau.
Gerade diese Fragen eignen sich hervorragend, weil sie China in einem Kern treffen – der souveränen Verfügung über Land und Leute als Mittel seines ökonomischen Aufstiegs. Dass eine uigurische »Exilregierung« in München sitzen darf, der Dalai Lama verehrter Gast bei deutschen Politikern ist, Joshua Wong, der Führer der Hongkong-Demonstrationen, vom deutschen Außenminister Heiko Maas empfangen wird, sind die Nadelstiche, mit denen die deutsche Diplomatie China berechnend ärgert und die sie, wenn nötig, jederzeit zum ernstzunehmenden Erpressungsmittel ausbauen kann. Und gerade die Grünen tun sich auf diesem Feld als moralische Scharfmacher hervor.
Die deutsche Presse kann sich bei ihrem patriotischen Publikum darauf verlassen, dass es Vorbehalte gegen jedes »Ausland« gibt. Ein Feindbild erzeugen muss sie also erst gar nicht und könnte das auch nicht. Sie kann allerdings die latent vorhandenen Vorbehalte unterfüttern und dabei durchaus, den Konjunkturen der deutschen Außenpolitik entsprechend, mal mehr und mal weniger Wind machen.
Das Auswärtige Amt, das sich gerade an der im Handelskonflikt USA – China erfahrenen Abhängigkeit deutscher Wirtschaftsinteressen von
den beiden Großmächten abkämpft und es in seiner EU mit der Seidenstraßen-Initiative der Chinesen zu tun bekommt 7), muss so etwas nicht einmal in Auftrag geben. Es hat in den Redaktionen der Qualitätspresse seine Gewährsleute und kann sich darauf verlassen, dass man dort wie stets konstruktiv und besorgt die Probleme der deutschen Nation mitdenkt und sich in Sachen Mobilisierung patriotischer Gesinnung schon das Richtige einfallen lässt.
Ein Postskriptum aus aktuellem Anlass: Auch im Falle des Corona-Virus kann China einfach nichts richtig machen. Der neue Erreger wird der WHO gemeldet – aber natürlich »zu spät«, »zu intransparent«. Es werden zügig Maßnahmen ergriffen, nationale Feiern abgesagt, ganze Städte in Quarantäne geschickt, Krankenhäuser innerhalb einer Woche aus dem Boden gestampft – mal dahingestellt, was da aus welchem Grund und mit welcher Berechnung gemacht wird, »unsere« Presse weiß jedenfalls schon längst, dass all das ja »nur« passiert, weil die chinesische Regierung unter »enormem Erfolgsdruck« steht. Und seine wertvollen Bürger kann Europa diesem Staat in einer solchen Situation jedenfalls nicht einfach anvertrauen. Also heim mit ihnen in die Freiheit – in diesem Fall: die Quarantäne eines Krankenhauses.
Anmerkungen
1 Im Jahr 2018: USA 650 Milliarden Dollar, China 250. Von 2001 bis
2018: USA 11.560 Milliarden Dollar, China 2.457. Siehe:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/183059/umfrage/militaerausgaben-der-usa/
􀀀 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/151195/umfrage/
china---militaerausgaben-seit-1991/

2 https://www.welt-sichten.org/artikel/37040/
armutsgrenzen-von-zahlen-und-menschen

3 Zu den Uiguren: https://www.jungewelt.de/artikel/368173.
anti-terror-krieg-terror-in-xinjiang.html
, zu den Demonstrationen
in Hongkong und Joshua Wong: Christian Y. Schmidt in
Konkret 1/2020 (»Trump, befreie uns. Die Pegida von Hongkong«)
und Jens Berger, https://www.nachdenkseiten.de/?p=54892
4 Vgl. bspw. Peter Rudolf: Der amerikanisch-chinesische Weltkonflikt,
https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019S23/en-d52269e18405 https://www.magazin-auswege.de/data/2019/12/Dillmann_Warum_Krieg.pdf
6 So beschreibt es jedenfalls das »Bundesministerium für Verteidigung
« in seinem Bericht »China – Perspektiven und Herausforderungen
«: https://www.bmvg.de/resource/blob/22628/b0a4a5e62c8754bc97a128c5f1e1d561/20180306-chinaperspektiven-
und-herausforderungen-data.pdf

7 https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/schwer-zu-stoppen

Der Text wurde in Junge Welt veröffentlicht.

Renate Dillmann ist Politologin und lehrt an der Evangelischen Hochschule Bochum. 2009 erschien von ihr das Buch »China – ein Lehrstück«, das zur Zeit nur als E-Book erhältlich ist.
Sie schrieb an dieser Stelle zuletzt am 24. Mai 2019 gemeinsam mit Arian Schiffer-Nasserie über die Geschichte der Deutschen Rentenversicherung:
»Zwangserspartes Gnadenbrot«.

Ergänzung von Karsten Weber:

Diskriminierende Berichterstattung zum Coronavirus
Rassismus „Made in Media“
Die Hashtags #IchBinKeinVirus, #IAmNotAVirus, #JeNeSuisPasUnVirus zirkulieren weltweit in den sozialen Medien. Immer mehr Menschen sehen sich gezwungen öffentlich klar zu stellen, dass sie nichts mit dem Coronavirus zu tun haben, nur weil sie „asiatisch“ aussehen.

korientation e.V. ist eine Selbstorganisation und ein Netzwerk für asiatisch-deutsche Perspektiven mit einem gesellschaftskritischen Blick auf Politik, Kultur, Film und Medien.

Update vom 21.4., K.W.:

Screenshot von Bild-YouTube-Video

Vorläufiger Höhepunkt einer Kampagne - Feindbildpflege als journalistisches Kerngeschäft - Ein Kommentar

"Was China uns jetzt schon schuldet" - mit diesem Aufreißer zieht Deutschlands größte Tageszeitung wieder  einmal gegen China zu Felde und verlangt in detaillierter "Rechnung"  das, was die Corona-Pandemie "uns" kostet, von der Volksrepublik in  Heller und Euro zurück.

Telepolis 21.4.2020