May 10, 2022

Das Zeitalter der Migration III

Die heutige chinesische Diaspora und ihre Kämpfe weltweit

Das Zeitalter der Migration III

[Bild oben: Protest in Chinatown NYC]

Seit den späten 1970er Jahren haben Reformen und die Marktentwicklung in China ein neues "Mobilitätsregime" geschaffen. Bevölkerungsbewegungen wurden dereguliert und in einigen Regionen aus Entwicklungsgründen sogar gefördert. Die rasche Integration Chinas in die Weltwirtschaft öffnete auch die Tür für die Abwanderung. Die massiven Auslandsinvestionen Chinas führten zu einem Bedarf an chinesischen Arbeitskräften bei den Internationalen Bauprojekten.

Die Rubrik zur Belt & Road Initiative dieses Blogs dokumentiert diese Bewegung von Arbeitskraften als Quelle neuer Kämpfe.

Insbesondere seit den 2000er Jahren hat die chinesische Auswanderung auch in nicht-traditionelle Ziele in Afrika, Osteuropa, Lateinamerika, der Karibik und anderen Teilen des globalen Südens erheblich zugenommen. Einige möchten dem Huko System und dem harten Konkurrenzkampf im chinesischen Alltag entkommen und versuchen sich bleibend in einem anderen Land niederzulassen, andere pendeln zwischen China und einem anderen Land.

Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge lebten im Jahr 2020 rund 10,5 Millionen Chinesen im Ausland. Zusammen mit denen den Auswanderergenerationen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert wird die Diaspora auf 35 bis 50 Millionen geschätzt.  Die chinesischen Communities verändern die Länder, es kommt sowohl zu Reibereien mit der alten Bevölkerung, es entstehen auch Allianzen und gemeinsame Kämpfe.

Jeder vierte Hongkonger plant die Auswanderung, die meisten führen das politische Klima an

Eine Meinungsumfrage zeigt, dass bis zu 1,87 Millionen Menschen konkrete Pläne haben, Hongkong für immer zu verlassen.

RFA 25.3.2022

Britische Medien berichten von einer ungewöhnlich großen Demonstrationsfreudigkeit bei den Neubriten aus der ehemaligen Kronkolonie.

Die Demonstrationen drehen sich nicht allein um die politische Situation in Hongkong und China, sondern genauso um die britischen Verhältnisse. Es wird protestiert gegen Rassismus und staatlichen Rassismus und gegen die neuen Polizeigesetze.

Informationen zum Arbeitsrecht für Migranten aus Hongkong:

Den Flyer und die angebotenen Workshops gab es zweisprachig

Die Demonstrationen und Aufstände in Hongkong hatten auch Einfluß auf chinesische Studierende weltweit. Es kam zu offenen und teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Änhängern der Protestbewegung und pekingtreuen Studenten an Unis in den USA, Kanada und Australien.

Die "Atlanta Spa Shootings" 16. März 2021 sorgten für ein Zusammerücken asiatischer Communities. Acht Frauen waren in drei Massagesalons im Großraum Atlanta getötet worden, sechs von ihnen waren asiatischer Abstammung. Man sah es als Höhepunkt einer wachsenden antiasiatischen Gewalt, die sich in der Covid19-Pandemie insbesondere nach Trumps Aussage vom "China Virus" nicht allein in den Vereinigten Staaten ausgebreitet hat. Tausende demonstrierten in dutzenden US-amerikanischen Städten, aber auch in Amsterdam, London, Montreal und Taipei.

Die Communities chinesischer Migranten sind Ausgrenzungen und prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt. In den Chinatowns entwickeln sich immer wieder Kämpfe gegen Rassismus, Ausbeutung und Gentrifizierung.

Die Probleme des Viertels sind darauf zurückzuführen, dass Asiaten überall im Big Apple grundlos niedergetrampelt, verprügelt und gegen Gebäude geschleudert werden. Diese Gewaltwelle macht die Probleme in Chinatown nur noch schlimmer, denn die Restaurantangestellten haben Angst, nachts auszugehen oder gar mit der U-Bahn zu fahren. "Einige Restaurants weisen ihre Angestellten an,  früh zu gehen und aus Sicherheitsgründen zu zweit zu fahren". (...) Anfang dieses Jahres hat die Stadtverwaltung 35 Millionen Dollar für kleine Unternehmen in einkommensschwächeren Vierteln und farbigen Gemeinden bereitgestellt, dabei aber große Teile von Chinatown ausgenommen.

NY Post 26.4.2021

Chinatowns im ganzen Land sind zunehmend zu einem Schlachtfeld der Gentrifizierung geworden. Das zweitgrößte Wohnungsbauprojekt in New York, One Manhattan Square, ist ein 1,4 Milliarden Dollar teures Hochhaus am Wasser in Chinatown, in dem eine Wohnung mit einem Bett und einem Bad für 7.250 Dollar [pro Woche] zu mieten ist (ähnliche Wohnungen werden ab 1,2 Millionen Dollar zum Verkauf angeboten). (...)
In Los Angeles werden in neuen Luxuskomplexen wie Blossom Plaza und Jia Apartments Einzimmerwohnungen für rund 2.400 Dollar angeboten, was weit über dem Durchschnittspreis in L.A. liegt. In einem Gebiet, in dem 94 % der Bewohner zur Miete wohnen und das Durchschnittseinkommen bei 27.000 Dollar liegt, haben diese Art von steigenden Kosten verheerende Folgen für die Menschen, die Chinatown in L.A. und anderen Städten ihr Zuhause nennen. Doch die lokalen Aktivisten der Koalition "Coast-to-Coast Chinatowns Against Displacement" kämpfen für den Erhalt ihrer Gemeinden und den Schutz ihrer langjährigen Bewohner.

teenVOGUE 28.1.2022

NYC Chinatown Arbeiter protestieren gegen Ausbeutung und rassistische Gewalt

Hunderte von Demonstranten zogen am 26. September durch die Straßen von Manhattan Chinatown, um ein Ende der Verdrängung und der rassistischen Gewalt gegen die Arbeiterklasse der Gemeinde zu fordern.
Die Demonstration wurde von einer Koalition aus Gruppen wie der National Mobilization Against Sweatshops, der Coalition to Protect Chinatown and the Lower East Side, Youth Against Displacement und Youth Against Sweatshops organisiert und richtete sich gegen drei Schuldige, die für die Ausbeutung und Gentrifizierung der Chinatown-Gemeinschaft verantwortlich sind: den Chinese-American Planning Council (CPC), das Museum of Chinese in America (MOCA) und den Immobilienentwickler Jonathan Chu. Die Partei für Sozialismus und Befreiung gehörte zu den Organisationen, die in Solidarität teilnahmen, und auch Politiker wie der demokratische Kandidat für den Stadtrat Christopher Marte und der Senator des Staates New York Robert Jackson waren anwesend.
Die Organisatoren stellten im Vorfeld des Marsches vier Forderungen auf: die CPC solle die 24-Stunden-Arbeitstage für ihre Hauspfleger beenden; das Museum MOCA solle die 35 Millionen Dollar, die es von der Stadt New York erhalten hatte, für die Unterstützung der von der Pandemie betroffenen Arbeiter und Kleinunternehmen verwenden; Chu solle den Jing Fong-Speisesaal wieder eröffnen, den er zu Beginn der Pandemie geschlossen hatte, so dass die gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter ohne Arbeit blieben; und alle Beteiligten sollten sich bei den Arbeitern der Chinatown-Community entschuldigen. (...)
Was diese Eliten mit ihrem Anspruch auf Repräsentation zu verschleiern versuchen, sind die unkontrollierbaren Klassengegensätze, die der Kapitalismus hervorbringt. Die Konflikte in Chinatown sind in Wirklichkeit Kämpfe gegen Armut, Arbeitsausbeutung, Masseninhaftierung und Gentrifizierung, die Teil des breiteren Klassenkampfes gegen den Kapitalismus selbst sind. (...)

Liberationnews 29.9.2021

Im Zuge der aktuellen Gewerkschaftskampagne, die lange unbehandelte Arbeitsfragen ins politische Rampenlicht rückt, haben Aktivisten das Bewusstsein für die Arbeiter in Chinatown, New York City, geschärft, die mit 24-Stunden-Arbeitstagen und geringer Bezahlung konfrontiert sind.
Am 12. April versammelten sich Angehörige der Community des Ithaca College, um dieses Thema - sowie die anhaltende Gentrifizierung und Gewalt gegen asiatisch-amerikanische Gemeinschaften - bei der Veranstaltung Pandemie der Gewalt zu diskutieren. (...)
Seit die Bewegung "Stop Asian Hate" als Reaktion auf den COVID-19-bedingten anti-asiatischen Rassismus ins Leben gerufen wurde, hat das politische Establishment von New York City darauf reagiert, indem es Geld in die NGOs von Chinatown fließen ließ, vor allem in den Chinese-American Planning Council (CPC). Im Haushalt der Stadt New York für 2022 wurden Zehntausende von Dollar für das CPC bereitgestellt.
"Es [das CPC] wird von einer Elite asiatischer Amerikaner angeführt, die viel Geld für Lobbyarbeit ausgeben und sich als fortschrittliche Non-Profit-Organisationen profilieren", sagte Lu. "Sie sind selbst eine große Pflegeagentur und haben den 24-Stunden-Arbeitstag in der gesamten Pflegebranche verbreitet - sie waren eine der ersten, die damit begonnen haben. Sie haben vor Gericht und im Rechtssystem eine Menge schlimmer Dinge getan, um dies durchzusetzen."
Obwohl das CPC sich als Sozialdienstorganisation ausgibt, die der asiatisch-amerikanischen Gemeinschaft in New York hilft, werden arbeitende asiatische, schwarze und lateinamerikanische Immigrantinnen in großem Umfang ausgebeutet. Die Beschäftigten in den häuslichen Pflegeeinrichtungen vom CPC werden nur für 13 Stunden bezahlt, wenn sie 24-Stunden-Schichten arbeiten, was an mehreren Tagen in der Woche geschieht. Lu sagte, dass das CPC damit durchkommt, obwohl diese Praxis gegen das Arbeitsrecht verstößt und schon seit Jahren praktiziert wird, weil Einwanderer im Vergleich zu amerikanischen Arbeitnehmern keine Rechte haben.
"Wenn das CPC asiatische und andere farbige Einwanderinnen betrachtet, sehen sie nur eine billige Wegwerf-Frau, die zu Tode gearbeitet wird", sagte Lu. "Manche Leute sagen sogar: 'Warum habt ihr es auf diese asiatische Agentur abgesehen? Wir müssen uns gegenseitig unterstützen. Aber so kann sich der systemische Rassismus fortsetzen, denn er wird sogar von Progressiven und Radikalen verteidigt."(...)

The Ithacan 14.4.2022

Die Knast-Geldfalle

Pikanterweise war es jedoch eine gute Zeit für das, was zu einer der umstrittensten Institutionen in Chinatown geworden ist: das Museum of Chinese in America. Das MOCA (...) erhielt (...) Hunderttausende von Dollar an Wiederaufbauhilfe, (...) Zuschüsse in Millionenhöhe von der Ford Foundation und (...) einen Zuschuss der Stadt in Höhe von 35 Millionen Dollar. (...)
Mit freiem Eintritt und einer neuen Ausstellung namens "Responses: Asian American Voices Resisting the Tide of Racism" (Asiatisch-amerikanische Stimmen im Widerstand gegen die Flut des Rassismus), zu der auch Wandgemälde gehören, die Ereignisse wie die Ermordung von Vincent Chin darstellen, hätte man meinen können, dass das MOCA auch für den politischen Moment gerüstet ist.
Doch als die Präsidentin des MOCA, Nancy Yao Maasbach, sich darauf vorbereitete, Journalisten und Prominente zur Eröffnung der Ausstellung im Juli zu empfangen, versammelten sich etwa zwei Dutzend Demonstranten auf dem Bürgersteig. Schüler mit frechen Gesichtern und chinesische Omas mit ordentlichen Frisuren hielten Schilder hoch, auf denen MUSEUM OF CORRUPT ASIANS und THE MUSEUM OF CORPORATE ARTWASHING und HEY MOCA! GEBT DIE 35 MILLIONEN DOLLAR AN DIE GEMEINDE ZURÜCK! "Sanqian wubai wan", riefen sie - 35 Millionen. (...)
Das MOCA erhielt das Geld als Gegenleistung von der Stadt, nachdem die de Blasio-Regierung den Gefängniskomplex auf Rikers Island schließen und vier neue Gefängnisse in verschiedenen Bezirken errichten wollte. In Chinatown [sollte] das Gefängnis, das als "Tombs" bekannt ist - abgerissen und durch einen fast 300 Fuß hohen Turm ersetzt werden (...), den Kritiker als "Wolkenkratzer-Knast" bezeichnet haben (...). Anwohner beschwerten sich darüber, dass das Büro des Bürgermeisters den Plan durchgeboxt hatte, Knastgegner argumentierten, neue Gefängnisse würden ein kaputtes System aufrechterhalten. (...)

Curbed 17.12.2021

Das neue Mega-Gefängnis in NYCs Chinatown ist eine physische Erinnerung an den Hass gegen Asiaten

Demonstranten und Organisatoren haben betont, dass das Megagefängnis in Chinatown den Anwohnern und den Gefangenen schade.
Chinatown leistet seit langem Widerstand gegen das Strafvollzugssystem (...). Im April 1975 wurde ein chinesisch-amerikanischer Mann namens Peter Yew von der Polizei verprügelt, weil er sich in einen kleinen Verkehrsvorfall eingemischt hatte. Er wurde auf das Revier gebracht, entkleidet, erneut geschlagen und dann wegen Widerstands gegen die Festnahme und Angriffs auf einen Polizeibeamten angeklagt. Als Reaktion darauf schlossen die Geschäfte in Chinatown am 19. Mai mit Schildern, auf denen "Geschlossen aus Protest gegen Polizeibrutalität" stand, und 15.000 Menschen marschierten zum Rathaus und forderten Gerechtigkeit. Kurze Zeit später wurde die Anklage gegen Yew fallen gelassen. 1982 stellte Bürgermeister Ed Koch einen 101 Millionen Dollar teuren Plan zum Bau eines neuen Gefängnisses vor. Dazu sollten die Bewohner vertrieben werden, indem Gebäude verkauft wurden und jeder Mieter nur 250 Dollar für den Umzug erhielt. Schätzungsweise 12.000 Demonstranten versammelten sich und blockierten den Zugang zur Brooklyn Bridge, wodurch der Bau des neuen Gefängnisses letztendlich verhindert wurde.
Gegenwärtig stellt das Gefängnissystem eine große Bedrohung für asiatische Amerikaner dar. Im ersten Jahr der Trump-Regierung hat das ICE seine Abschiebebemühungen um 150 % erhöht. Im Haushaltsjahr 2018 waren die meisten Abgeschobenen in New York City Chinesen, gefolgt von indischen Einwanderern. Noch vor der Gründung des ICE stieg die Inhaftierung asiatischer Amerikaner allein in den 1990er Jahren um 250 %. Seit 1998 haben mindestens 15.000 inhaftierte laotische, kambodschanische und vietnamesische Einwanderer und Flüchtlinge einen Abschiebungsbescheid erhalten - und 80 % davon wurden aufgrund früherer Vorstrafen und nicht aufgrund aktueller Straftaten erlassen. Dieser Weg vom Gefängnis zur Abschiebung ist eindeutig anti-asiatisch.
Im Kampf gegen Polizeigewalt und Inhaftierung greifen viele in New York ansässige asiatisch-amerikanische Organisationsgruppen wie Red Canary Song tragische Beispiele von polizeilicher Übervorteilung und Gewalt auf. Viele erinnern sich an Yang Song, eine chinesische Immigrantin, die in einem Spa in Flushing, Queens, arbeitete. Kurz nachdem sie ihrer Mutter anvertraut hatte, dass sie 2017 von einem verdeckten Polizeibeamten sexuell missbraucht worden war, stürmten NYPD-Beamte Song's Arbeitsplatz und sie fiel vier Stockwerke in den Tod. (...)

Prism 24.3.2022