May 21, 2020

Rückblick: Radikale Linke in Hongkong

Ein Blick in die Geschichte. Über ein prägendes Zeitungsprojekt der 70er Jahre

Rückblick: Radikale Linke in Hongkong

In Deutschland ist das Chinabild im wesentlichen von den Berichten der bürgerlichen Medien geprägt und so wollen viele deutsche Linke nichts von der hongkonger Protestbewegung hören nach all den Pressebildern von Demonstranten mit US Flaggen. Eine Bericherstattung, die linke Traditionen und Strukturen in Hongkong und in der Protestbewegung ausblendet, verzerrt das Bild von der ehemaligen britischen Kronkolonie. Das linksliberale US amerikanische Magazin The Nation macht sich damit verdient, uns Einblicke in die bewegte Geschichte linker Bewegungen in Hongkong zu erlauben durch einen Bericht über ein linkes Zeitungsprojekt in den 70ern:

Das radikale 70er Jahre Magazin, das die hongkonger Linke prägte

Gefangen zwischen China und Kolonialherrschaft, drängte dieses Graswurzelkollektiv darauf, die Bedingungen der Debatte zu verändern.
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Als Ng und Mok 1970 die Zeitschrift The 70's Biweekly ins Leben riefen, war das Ansehen der Linken in Trümmern, und Hongkong kämpfte noch immer mit der Suche nach einer eigenen Identität. Nichtsdestotrotz gelang es Ng, Mok und den anderen Gründern, die erste Ausgabe ihrer Zeitschrift mit einer großzügigen Spende eines jungen Mönchs zu finanzieren, einem der 12 Studenten, die aus Chu Hai vertrieben worden waren. Ng war der einzige bezahlte Mitarbeiter, während Mok als Sozialarbeiter arbeitete. Die anderen finanzierten sich durch Musik in Nachtclubs, die Verarbeitung von Kräutern als Assistenten chinesischer Kräuterärzte und den Verkauf billiger Schuhe und Hausschuhe in kleinen Läden.
Von Anfang an deckten die zweiwöchentlichen Ausgaben der The 70's ein breites Themenspektrum ab, das von Besprechungen von Übersetzungen von Bertolt Brechts Gedichten bis hin zu einer Sonderausgabe über die Kämpfe des neu unabhängigen Landes Bangladesch gegen das damalige Westpakistan reichte. In dieser Ausgabe von 1971 prangerten pseudonymisierte Autoren die Komplizenschaft der KPCh am Völkermord an den Bengalen im Jahr zuvor an. "Die Unterstützung der KPCh für Westpakistan ist konterrevolutionär", schrieb einer, über einer kitschigen Reproduktion des Briefes des chinesischen Premierministers Zhou Enlai an den westpakistanischen Präsidenten Yahya Khan. Die Mitglieder des Kollektivs druckten und verteilten die Publikation von Anfang an selbst und brachten sie zu Fuß zu den Kiosken in der Stadt.
(...)
In den 70er Jahren wurde im Zweiwochenrhythmus betont, wie die imperialistischen Kräfte die lokale Bevölkerung ausbeuteten - ganz gleich, welcher Nationalstaat das Sagen hatte. Zu ihren Aktionen gehörte eine Kundgebung am 7. Juli 1971, die einen Wendepunkt in der öffentlichen Stimmung markierte: Die Polizei ging gewaltsam gegen eine im Victoria Park versammelte Gruppe vor, zu der über 3.000 Linke, Studentenaktivisten und Journalisten gehörten.
Währenddessen begann das Kollektiv mit Linken vom chinesischen Festland zu korrespondieren, die nach 1949 ins Exil gegangen waren, wie etwa mit dem chinesischen Trotzkisten Wang Fanxi in Macau. Ab 1970 unternahmen Mitglieder wie Ng, Mok und der heute herausragende Filmregisseur John Shum mehrere Reisen nach Paris, einer Drehscheibe für im Exil lebende chinesische Trotzkisten wie das ehemalige KPCh-Mitglied Peng Shuzhi. Einige besuchten auch das Vereinigte Königreich, wo sie mit Mitarbeitern der New Left Review und Mitgliedern der Socialist Workers Party zusammentrafen.
Und doch wurde das The 70's Biweekly Kollektiv trotz seiner Erfolge von internen Meinungsverschiedenheiten zwischen seinen trotzkistischen und anarchistischen Elementen geplagt...

Auszüge aus: The Nation 17.4.2020

Anmerkung: Der Autor Promise Li ist Mitglied des Lausan Kollektivs. Lausan publiziert mehrsprachig Berichte aus linker und antikolonialer Perspektive. Mehrere Beiträge unseres Blogs basieren auf Veröffentlichungen von Lausan. Aus einer Selbstbeschreibung: "Lausan ist ein zu 100 % unabhängiges und ehrenamtlich geführtes Kollektiv von Autoren, Wissenschaftlern, Aktivisten und Künstlern aus Hongkong und seiner Diaspora, das sich für den politischen Kampf der Stadt engagiert. Wir hoffen, die Entwicklung einer internationalistischen linken Koalition zu unterstützen, die den Menschen in Hongkong zur Seite steht und zu der auch die Menschen in Hongkong selbst beitragen können." Aus bluestockings.com 17.12.2019