March 31, 2023

Riders im Austausch

Rückblick auf das Internationale Online-Treffen über Arbeitskämpfe und Organisationsansätze in der Plattformökonomie

Riders im Austausch

Die Kämpfe und Ansätze zur Organisierung in der Plattformökonomie am Beispiel von Essenskurieren (Ridern) in Festland-China, Hongkong und Deutschland näher zu untersuchen, war das Thema eines internationalen Online-Treffens des Kritischen China-Forums1und der Rosa Luxemburg Stiftung, das am 10. Dezember 2022 stattfand und an dem insgesamt 60 Personen aus 19 Ländern teilnahmen. Bei der Veranstaltung wurden auch die Entwicklung dieser Branche in den letzten Jahren sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen beiden Ländern analysiert. Auslöser waren weltweit zunehmende Proteste von Ridern, insbe-
sondere die zwei größeren, über Grenzen hinaus bekannt gewordenen Solidaritätskampagnen für den Rider Mengzhu in China und die Gorillas-Rider in Deutschland.

Rider-Arbeitskämpfe in Festland-China: Verbote und Repression
Der Rider und Arbeitsaktivist Xie Xiaofeng berichtet von Lohnkürzungen um ca. zehn Prozent jährlich seit 2019 für Rider, was er nicht nur auf das Überangebot und die wachsende Konkurrenz von Arbeitskräften, sondern auch auf fehlende Tarifabkommen und Aushandlungskanäle mit den Plattformunternehmen zurückführt. Sinkende Löhne seien der Hauptgrund für Rider-Streiks, so Xiaofeng. Versuche, unabhängige Gewerkschaften zu bilden, würden niedergeschlagen und zögen drastische Repressionsmaßnahmen nach sich. Da die chinesische Regierung Essenslieferdienste als Auffangbecken für Arbeitslose und als wichtigen sozialen Stabilitätsfaktor ansehe, greife sie gegen Rider-Proteste brutal durch und blockiere
Internetberichte. Lieferverzögerungen oder Kundenklagen führten zu Lohnabzügen und anderen Strafmaßnahmen. Nach der Einführung von Unfallversicherungen für Rider, die die Unternehmen abschließen »können«, mangele es jedoch an staatlicher Überwachung, so Xiaofeng.
Fast alle Rider nutzten Möglichkeiten des Internets zur schnellen Kommunikation und gegenseitigen Unterstützung. Ein Hindernis für Proteste sei die große Fluktuation unter Ridern, die meist nur sechs bis neun Monate lang beschäftigt seien. (...)

Der Essens- und Lebensmittel-Lieferdienstmarkt in Deutschland: Missstände trotz Regulierung
In seinem Überblicksbeitrag bezeichnete Simon Schaupp den großen Niedriglohnsektor in Deutschland als wichtige Voraussetzung für das Funktionieren von Plattform-Lieferdiensten, da diese auf hohen Ausbeutungsraten beruhten. Zusätzlich ausgebeutet würden die Rider in Deutschland dadurch, dass 70 Prozent von ihnen Migrant:innen seien, die auf dem Arbeitsmarkt besonders diskriminiert würden. (...) Trotzdem hätten sie sich in Arbeiterkollektiven, in der Basisgewerkschaft FAU (Freie Arbeiter-Union) oder der NGG (Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten) organisiert. Auch nutzten Rider soziale
Medien, um sich zu unterstützen. Ein besonderes Augenmerk richteten sie auf Betriebsratsgründungen, was bei Arbeitgebern auf große Ablehnung stoße. Auf dem Rechtsweg sei es etwa den Gorillas-Ridern 2021 gelungen, einen Betriebsrat einrichten zu können. (...)

Zentrale Themen und Fragestellungen
Trotz enormer Unterschiede der genannten Fallbeispiele wird deutlich, dass sich Simon Schaupps These, bei den Arbeitskämpfen der Rider handele es sich um einen neuen Typ von Klassenkonflikt, bestätigt. (...)

Über den größten Einfluss verfügen Rider im Bereich der gesellschaftlichen Macht. Hierzu gehören das Zusammengehen mit anderen sozialen und politischen Gruppen (...), was dem Konzept des »social movement unionism« Auftrieb gegeben hat. Auch die mit der Digitalisierung gewachsene Medienmacht gehört zu den großen Chancen von Ridern.

Xie Xiaofeng fand den Austausch bei dem Online-Treffen »inspirierend« und plädierte für eine fortgesetzte Kommunikation, was zahlreiche weitere Redner:innen und Teilnehmer:innen unterstützten.

Den vollständigen Bericht unter dem Titel "Mein Boss, der Algorithmus" von Ingeborg Wick für den Express findet man im Labournet.