April 16, 2020

Coronakrise und Arbeitslosigkeit in China

Der Tagesspiegel hat Zahlenmaterial zum Anstieg der Arbeitslosigkeit veröffentlicht.

Coronakrise und Arbeitslosigkeit in China

Auch wenn es Zweifel an den offiziel zugänglichen Zahlenmatierial zum Arbeitsmarkt in China gibt, dürften die abgebildeten Tendenzen ein zutreffendes Bild von den sozialen Folgen der Coronakrise vermitteln. Der Tagesspiegel berichtete am 16.4.:

Arbeitslosigkeit in China steigt an

Jetzt werden die sozialen Folgen der Coronakrise deutlich

Millionen Menschen haben in der Krise ihre Jobs verloren, weitere Millionen werden folgen. Viele rutschen in die Armut ab. Das führt bereits zu Protesten.
Die Coronavirus-Pandemie sorgt nach Angaben der Nationalen Statistikbehörde für den größten Anstieg von Arbeitslosigkeit in China seit mehr als zwanzig Jahren. Die Zahl der Arbeitslosen stieg  im Februar auf 6,2 Prozent. Im Januar und Dezember vergangenen Jahres  lag die Quote noch jeweils bei knapp über fünf Prozent.
Mao Shengyong, ein Sprecher der Statistikbehörde geht zwar davon aus, dass die Zahl der Arbeitslosen in der zweiten Hälfte des Jahres wieder fallen könnte, doch das Ministerium für Humanressourcen und  Soziale Sicherung meldete, dass allein in den ersten beiden Monaten dieses  Jahres fünf Millionen Jobs aufgrund der Auflagen zur Eindämmung des Coronavirus weggefallen sind.
Auch die Aussichten für den Arbeitsmarkt und damit für die gesamte wirtschaftliche Erholung der Volksrepublik sind nicht besser. Dan Wang vom Beratungsunternehmen  Economist Intelligence Unit geht sogar davon aus, dass allein in diesem  Jahr noch 22 Millionen Menschen ihre Jobs verlieren werden. Nur knapp  die Hälfte davon wäre berechtigt Arbeitslosenunterstützung zu bekommen.
(...)
Über 200 Millionen Wanderarbeiter haben gar keinen Anspruch auf Unterstützung vom Staat, da ihre Arbeitgeber häufig keine Abgaben an die Sozial- oder Krankenversicherung für sie zahlen. Diese Gruppe konnte unter den strengen Quarantänemaßnahmen und auch nach der schrittweisen  Öffnung der Fabriken, nicht gleich wieder an ihre Arbeitsplätze  zurückkehren und hatten Wochen lang keine Einkünfte.
(...)
So soll es, laut Daten der in Hongkong ansässigen  Nicht-Regierungs-Organisation China Labour Bulletin, im März allein zu  50 Aufständen gekommen sein. Protestiert haben Angestellte aus dem Dienstleistungssektor, dem Transportwesen oder der Baubranche. Einige Protestanten sollen am Aufbau des Vorzeigekrankenhauses in Wuhan beteiligt gewesen sein, das in nur zehn Tagen hochgezogen wurde, um Corona-Patienten zu behandeln.
(...)

Tagesspiegel 16.4.2020

Ergänzung vom 19.4.2020:

Protest-Blog eines COVID-19-Krankenhaus-Bauarbeiters  geht vor seiner Löschung viral

Die Regierung hat den raschen Bau der beiden Krankenhäuser als Propagandainstrument benutzt, um den Nationalismus und das totalitäre System des Regimes zu fördern, wobei die offiziellen Medien von "chinesischer Schnelligkeit" oder "dem chinesischen Wunder" sprechen.
Hinter dieser "Schnelligkeit" und dem vermeintlichen "Wunder" verbirgt sich jedoch die tatsächliche Situation der chinesischen Arbeiter. Von Arbeitgebern und Arbeitsvermittlungsfirmen ausgebeutet, arbeiten sie durchschnittlich 12 Stunden pro Tag und leiden häufig unter Lohnrückständen und Abzügen. Schlechte sanitäre Bedingungen und Sicherheitseinrichtungen haben ebenfalls Unzufriedenheit verursacht. Aber diese unsicheren Bedingungen wurden von den offiziellen Medien absichtlich heruntergespielt oder ignoriert.
Der Blog des Arbeiters hatte bald mehr als 40.000 Beiträge und Kommentare, aber er wurde schnell gelöscht, und die damit verbundenen Diskussionen wurden eingeschränkt. In dem unterdrückten Beitrag hieß es:
Wir sind Arbeiter, die am Bau des Krankenhauses von Leishenshan beteiligt waren. Wir waren am Bau der Isolierstationen beteiligt; wir haben jeden Tag viele Patienten der Station und der Krankenwagen gesehen. Nun, da wir unsere Arbeit beendet haben, hat uns das Unternehmen in einem Plattenbauwohngebiet für Wanderarbeiter untergebracht, um uns unter Quarantäne zu stellen. Vier bis fünf Personen leben in einem Quarantäneraum. Nennt man das Quarantäne? Ist das sicher?
Hunderte von Menschen, die zusammen arbeiten, wären betroffen, wenn nur eine Person krank wird. Um Geld zu sparen, hat das Unternehmen jedoch kein Hotel für unsere Isolierung eingerichtet und Dutzende von Sicherheitsbeamten zu unserer Überwachung bestellt.
Später, nachdem die einheimischen Arbeiter in Wuhan nach Hause gehen konnten, begann das Unternehmen damit, uns nach und nach einzelne Fertigquartiere zur Verfügung zu stellen. Aber wir können nicht frei ein- und ausgehen; unsere Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt. Nur weil wir keine einheimischen Arbeiter sind, hielten sie uns an diesem Ort fest.
Die Baufirma und die Entsendefirma für Arbeitskräfte haben uns ausgebeutet und unsere Löhne kassiert. Hunderte von Millionen von Geldern wurden von ihnen entwendet. Wir werden jetzt von ihnen kontrolliert. Die Menschen kennen unsere Situation überhaupt nicht. Bitte verbreiten Sie das und machen Sie es öffentlich bekannt.
Einheimische Arbeiter in Wuhan können bereits nach Hause gehen, aber wir Wanderarbeiter sind hier festgehalten worden, weil auch andere Städte sich weigern, Arbeiter aufzunehmen, die in Leishenshan gearbeitet haben. Aber was ist mit unserem Leben? Wir haben Eltern, Ehefrauen, Kinder. Sie brauchen Geld, sie müssen leben. Wir können hier nicht ewig warten!
Wir bitten nur um Gerechtigkeit, denn am Anfang haben sie uns 14 Tage Quarantäne versprochen und gesagt, dass wir dann gehen können. Wenn das aus irgendeinem Grund aufgeschoben würde, würden sie uns weiterhin Unterhaltszuschüsse geben. Aber jetzt haben wir nichts mehr. Sie behandeln uns wie Flüchtlinge und geben uns kein Geld.
Hunderte von Arbeitern haben mehrmals protestiert. Vorgestern ist ein Handgemenge entbrannt. Die Polizei hat die Arbeiter weggebracht und eingesperrt. Jeden Tag gibt es Konflikte und die Polizei kommt oft, um uns zu unterdrücken.
Der Lohn, den uns das Krankenhaus zahlt, wird von der Firma abgezogen, und wir haben nicht viel Geld in der Hand. Jetzt, wo sie uns so behandeln, sind wir sehr hilflos. Gewalt und Protest sind Teil des täglichen Lebens geworden. Wir sind zu müde zum Leben. Abgesehen von der Beihilfe für die 14-tägige Quarantäne haben uns die Regierung und das Unternehmen danach nie auch nur einen Penny gegeben. Wo sind all die Spenden und Zuwendungen für Wuhan?
Bitte verbreiten Sie es. Wir hoffen, dass die Medien und Journalisten hierher kommen werden, um sich ein Bild von der tatsächlichen Situation der Arbeiter zu machen.
Hier sind einige der Kommentare auf dem Blog, die im Internet veröffentlicht wurden:
Meine Mutter ist Ärztin und die Situation ist die gleiche wie für Ärzte. Ärzte erhalten manchmal Zuschüsse und manchmal nichts. Lebensmittel werden gespendet, aber wir müssen dafür bezahlen.
Wir alle sind nach der Benutzung zurückgelassenes Werkzeug.
Lassen Sie nicht zu, dass das Lobhudeln den Bildschirm füllt; es gibt immer noch viel Ungerechtigkeit und Ausbeutung in der Welt.
Es ist so beschämend! Sie haben so viel versprochen, als sie die Menschen zur Arbeit gelockt haben, und nach der Arbeit haben sie die Arbeiter als Müll weggeworfen! Als die Regierung die Menschen bat, den Bau zu unterstützen, sagte sie den Menschen nicht, dass ein solcher Verrat stattfinden würde.
Sie unterdrücken die Menschen, die keinen Lärm veranstalten können -Reinigungskräfte, Sicherheitsleute, Bauarbeiter-, die von der herrschenden Klasse versklavt werden. Die herrschende Klasse spricht immer von nobler Hingabe, die nur ein Deckmantel für die Ausbeutung der Arbeiter durch sie ist.

WSWS 30.3.2020

Update 25.4.2020

Die Corona-Krise drückt die Nachfrage nach Konsumgütern,  Apple bestellt weniger iPhones. In der Folge haben Foxconn und Co. in  China zuletzt tausende Mitarbeiter entlassen und die Arbeitszeiten eingeschränkt. Auch werden Mitarbeiter gedrängt, Urlaub zu nehmen.
Apple hat zuletzt aufgrund der nachgebenden Nachfrage nach iPhones  die Bestellungen bei seinen Fertigern zusammengestrichen, das wurde  zuletzt auch aus verschiedenen Beobachterkreisen vermeldet, wie wir im  Zusammenhang mit Gerüchten um die iPhone 12-Produktion berichtet hatten. Die Folge ist nun auch bei den Fertigern in China zu spüren. Hatte man dort zuletzt wie zuvor berichtet noch versucht, möglichst schnell wieder möglichst viele Mitarbeiter an  die Bänder zu bekommen, wird nun wieder deutlich zurückgefahren.
Außerdem wurden die Überstunden – durchaus keine Seltenheit an diesen  Standorten – zuletzt verringert. Laut Schilderungen aus der Belegschaft  habe es seit dem 10. April keine Überstunden mehr in Zhengzhou gegeben.  Ferner habe Pegatron, ein weiterer Fertiger von iPhones, damit begonnen,  Arbeitsplätze abzubauen. Rund 1.000 Teilzeit- und Vollzeit-Beschäftigte  wurden zuletzt freigesetzt, wird aus Kreisen der Belegschaft berichtet.

Apfelseite 23.4.2020

Update vom 13.10.2020:

Wir möchten auf die interessante Serie The grim outlook for Chinese unemployment der South China Morning Post hinweisen.