Über die Schwäche gewerkschaftlicher Kämpfe in Hongkong
Ein hongkonger Studentenmagazin analysiert die Gründe für die Schwäche der Streikversuche im Zusammenhang mit der Protestbewegung

In den vier Monaten der Hongkonger Anti-Auslieferungsbewegung ab November 2019 konnten die Menschen oft nur an den Wochenenden auf die Straße mobilisiert werden. Die lokale Bewegung wurde immer von diesen Straßenprotesten dominiert, aber sie waren nicht die effektivste Strategie des Widerstands. Jegliche Gewaltanwendung durch die Protestierenden wurde angesichts des unverhältnismäßig großen Ausmaßes der Polizeigewalt zwangsläufig in den Hintergrund gedrängt, so dass die Auseinandersetzung an jedem Wochenende wahrscheinlich nur sehr geringe Auswirkungen auf das Establishment hatte. In der Tat ist es für uns um so schwieriger geworden, die Regierung zu großen Zugeständnissen auf der Straße zu zwingen. Die Bewegung scheint in eine Sackgasse geraten zu sein, auch wenn sie sich entwickelt und entwickelt hat.

Neben den ständigen Straßenprotesten gab es auch zahlreiche Streikaufrufe, um den alltäglichen Betrieb der Stadt zu stoppen und die Regierung zu Zugeständnissen zu zwingen. Doch die von der Bewegung angestoßenen Streiks dauerten oft nur einen Tag und hatten kaum Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Abläufe in Hongkong. Diese kurzen Streiks, wie der vom 5. August 2019, verlängerten den Kampf am Wochenende im Wesentlichen um einen einzigen Wochentag. Diese eineinhalbtägigen Streiks haben der Bewegung nicht viel neue Energie zugeführt und somit ihr volles Potenzial kaum ausgeschöpft. Aus diesen Streiks können wir die Schwierigkeiten, mit denen Organisationen und Teilnehmer konfrontiert waren, und die Symptome des historischen Scheiterns der Streikaktionen in Hongkong herausarbeiten.
Die Schwächung der gewerkschaftlichen Macht
Während der Kolonialzeit wurden Industriearbeiter, Arbeiterbewegung und Gewerkschaften in Hongkong vom damaligen kolonialen Staat Großbritannien mehr oder weniger unterdrückt. (...)
Während des Kalten Krieges änderte die Kolonialregierung ihre Politik, um den Einfluss der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in Hongkong einzudämmen. Dazu gehörte die Schaffung von arbeitnehmerfeindlichen Gesetzen. (...) Die Gründung von Gewerkschaften war damals politisch aufgeladen an einer eine von der KPCh und der Chinesischen Nationalistischen Partei (KMT) polarisierten politischen Landschaft. Gewerkschaften wurden daher in erster Linie zu Gefässen für politische Schnitzeljagden und weniger zu einer Kraft zum Schutz der Arbeiterrechte. Die Macht der Gewerkschaften war somit gebrochen.
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Nach den Unruhen von '67 änderte die britische Kolonialregierung in Hongkong ihre Regierungsmethoden und stärkte proaktiv die Arbeiterrechte, um Stabilität zurückzugewinnen. Die Regierung spielte die Rolle des Hüters der Arbeiter, indem sie den Arbeitern durch gesetzliche Schutzmaßnahmen wie die Beschäftigungsverordnung, in der Vertragsbedingungen, Gehalt und Urlaub sowie andere Leistungen für die Arbeiter festgelegt wurden, mehr Macht verlieh. Die Bestimmungen bezüglich der Gewerkschaften zeigten ebenfalls die Bereitschaft, die gewerkschaftliche Organisierungsbefugnis der Beschäftigten zu schützen, aber die Bestimmungen dieser Gesetze blieben recht begrenzt. Diese Gesetzesänderungen konzentrierten sich eng auf die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers, stärkten jedoch nicht die Rolle der Gewerkschaften selbst. Als die Beschäftigten ihren Schutz gewährleistet sahen, ohne sich auf die gewerkschaftliche Organisierung verlassen zu müssen, begannen sie, aus der Arbeiterbewegung auszusteigen. Folglich wurde die kollektive Macht zu einer Herausforderung, und die Gewerkschaften wurden infolgedessen erneut geschwächt.
Der letzte Nagel im Sarg der Gewerkschaftsbewegung war die florierende Wirtschaft Hongkongs. Gelegenheiten gab es überall. Wenn Arbeiter mit Ausbeutung konfrontiert wurden, wurde der Wechsel von einem Arbeitsplatz zum anderen zu einer alltäglichen Praxis, da die Arbeiter lediglich bessere Arbeitsplätze suchten, anstatt sich an die Gewerkschaften oder das Gesetz zu wenden. Dies schien die Gewerkschaften mehr oder weniger obsolet zu machen.
Die Macht der Gewerkschaften war nach der Übergabe bereits sehr schwach, und der größte Teil davon ging schließlich im Lager der Establishmentbefürworter unter. Der Gewerkschaftsbund Hongkong Federation of Trade Unions (FTU) wurde zum größten Gewerkschaftsbündnis in Hongkong und umfasste rund 200 Einzelgewerkschaften aus allen möglichen Berufszweigen, darunter Verkehr und Logistik, Dienstleistungen und Tourismus. Das Ziel des Pro-Establishmentlagers war es, Hongkong stetig weiterzuentwickeln, weshalb es weder politische noch wirtschaftliche Streiks duldete. In den jüngsten Streikaufrufen wies die FTU ihre Mitglieder an, auf ihren Posten zu bleiben, so wie sie es gewohnt sind.
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In einer Periode des Wirtschaftswachstums von Ende der 1960er bis in die 1990er Jahre wurde Hongkong zu einem der vier asiatischen Tiger, und auch die Wirtschaftsstruktur Hongkongs begann sich von der Leichtindustrie zur Dienstleistungswirtschaft zu wandeln. Die Konvergenz von "sozialer Zeit" und "Familienzeit" schuf den "Löwenfelsen-Geist" (獅子山精神): Der Glaube, dass (...) Strebsamkeit, harte Arbeit und eine gesunde Einstellung alles sind, was man braucht, um eine Familie zu gründen, einen guten Lebensunterhalt zu verdienen und erfolgreich zu sein. In der Zwischenzeit wurde das Image Hongkongs als internationales Finanzzentrum gefestigt. Der Kulturwissenschaftler Law Wing-sang weist darauf hin, dass die Kolonialregierung aktiv versuchte, ein unpolitisches "lokales Bewusstsein" für die Gesellschaft in Hongkong zu schaffen, um künftigen Unruhen im Nachgang zu den Aufständen von 1967 vorzubeugen.
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Entpolitisierung und Repression in der kolonialen und postkolonialen Ära haben die Arbeiterbewegung in einem geschwächten Zustand hinterlassen. Viele Hongkonger, die kollektive Aktionen meiden, haben kein Bewusstsein und keine Absichten, die über das Verständnis von Streiks als reines Mittel zum Zweck, als Taktik ohne Ideologie, hinausgehen. Die Unvollständigkeit dieses politischen Bewusstseins hat viel dazu beigetragen, die Energie für Streiks zu entschärfen.
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Nach der Umbrella-Revolution zerstörte die Bewegung gegen das Auslieferungsgesetz erneut die Idee von Hongkong als einer zielstrebigen, wirtschaftlich getriebenen Stadt. Ihre Teilnehmer haben ein neues Kapitel in der sich entwickelnden Geschichte der öffentlichen Politik der Stadt geschrieben. Das Scheitern der Streiks kann nicht einfach als persönliches moralisches und politisches Defizit verstanden werden, sondern als eine tiefe Erosion der gewerkschaftlichen Macht und des Klassenbewusstseins, die auf restriktiven Strukturen der kolonialen Kontrolle beruhen.
"Liberate Hong Kong, The Revolution of Our Times" ist nicht irgendein Gesang, sondern eine Idee, die in einer dekolonialen Politik wurzelt. Diese "Revolution unserer Zeit" sollte der nächste Schritt sein, um die Menschlichkeit der Hongkonger von den Instinkten und Motiven der Ökonomisierung zu befreien, während die Menschen wieder in die öffentliche Arena der Politik zurückkehren, um sich miteinander zu verbinden und zu organisieren. Lasst uns unsere Probleme gemeinsam in einer Revolution lösen, die vor dem politischen Bewusstsein nicht mehr zurückschreckt.
Der vollstänge Text ist zuerst bei Chinese University Student Press 中大學生報 erschienen, wurde vom Lausan Collective übersetzt und am 17.9.2020 im Lausan Magazin veröffentlicht.