Volkswagen und die Uiguren
China ist für Volkswagen nicht nur ein zentraler Absatzmarkt, sondern auch ein wichtiger Produktionsstandort. Seit 2013 betreibt der Konzern ein Werk im Westchinesischen Xinjiang.

Volkswagen produziert an acht Standorten in China. Das Land ist der wichtigste Markt für das Unternehmen. Vier von zehn Autos setzt der Konzern in China ab, bei der Kernmarke VW ist es sogar jedes zweite. Seit 2013 betreibt Volkswagen auch in Ürümqi ein Werk.
Die Wirtschaftwoche schrieb bereits 2013:
"Werk in Xinjiang
Der riskanteste Standort im VW-Imperium
Das neue Werk in der muslimisch geprägten westchinesischen Unruhe-Provinz Xinjiang ist der Preis, den der deutsche Autobauer bezahlen muss, um eine viel größere Fabrik im Osten des Landes hochfahren zu dürfen.
Die Anlage in Foshan ist für VW enorm wichtig, um den Verkauf in China in eine neue Größenordnung zu katapultieren: 2,8 Millionen Autos setzte VW 2012 in China ab, in den ersten acht Monaten 2013 waren es 18 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum – Tendenz: weiter so. Mit bestenfalls 50.000 Autos pro Jahr wirkt die Fabrik in Urumqi im Vergleich zu Foshan wie ein zusätzliches Fließband am Ende der Welt.
Die Provinz mit ihren 22 Millionen Einwohnern gehört zu den ärmsten Chinas. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt bei umgerechnet rund 4.000 Euro. Asphaltierte Straßen existieren außerhalb der Stadt Urumqi kaum. Zulieferbetriebe gibt es nicht. Von allen Auslandsinvestitionen, die 2010 nach China flossen, gingen gerade einmal 0,15 Prozent in die autonome Region Xinjiang.
VW und die Politiker in Urumqi verbreiten Optimismus. Noch werden die Mitarbeiter in anderen VW-Werken in China trainiert, bevor sie in Urumqi arbeiten.
Professor Halik, der Wanderer zwischen den Welten, sagt, dass dies sehr typisch für die Lage in Xinjiang sei. „Auf dem Papier gibt es keine Diskriminierung, im Alltag aber findet sie ständig statt.“ Nur wenige seiner uigurischen Studenten bekämen nach dem Studium einen festen Job, die chinesischen Kommilitonen schon. „Momentan“, so Haliks Resümee, „bestätigt Volkswagen mit seiner Personalpolitik die bestehenden Machtverhältnisse.“
wiwo 22.11.2013 (gekürzt)
VW-Chef Herbert Diess behauptete im April 2019 in einem BBC-Interview von dem Grauen in Umerziehungslagern für muslimische Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang nichts zu wissen, er wisse nicht, worauf der Reporter hinauswolle. Daraufhin konkretisiert der seine Frage: "Sie wissen nichts von Chinas Umerziehungslagern für eine Million schwächer gestellte Menschen, die als 'Bildungszentren' Teil von Chinas Anti-Terror-Strategie im Westen des Landes sind? Davon wissen Sie nichts?“. Diess: "Darüber ist mir nichts bekannt, sorry." Diese Aussagen sorgten für Wirbel und machen Menschenrechtsorganisationen fassungslos.
Der Konzern sah sich gezwungen, zu reagieren:
Der Volkswagen Konzern führt ab dem 1. Juli 2019 ein weltweites Sustainability Rating (Nachhaltigkeitsprüfung) für seine Lieferanten ein. Das Unternehmen prüft damit das Nachhaltigkeitsverhalten der Geschäftspartner in seiner Lieferkette im Hinblick auf Risiken bei Menschenrechten, Umweltschutz und Korruption.
Es sei an dieser Stelle daran erinnert, daß VW 2012 eine Charta über Zeitarbeit unterzeichnet hat, an die sie sich in dem Werk in Changchun ebensowenig gehalten hat, wie an des Chinesische Arbeitsrecht.
Ergänzung vom 30.7.2019:
Xinjiang:
China bezeichnet Internierungslager als wegweisend
In Umerziehungslagern in Xinjiang werden verfolgte Uiguren festgehalten. Die chinesische Regierung behauptet, die Lager würden ihnen zu Bildung und Arbeit verhelfen.
aus: ZEIT 30.7.2019
Update vom 25.11.2019:
Menschenrechtler kritisieren VW-Fabrik in China
Es ist die wohl größte Masseninternierung einer ethnisch-religiösen Minderheit seit dem Zweiten Weltkrieg: Im Nordwesten Chinas, in der Autonomieregion Xinjiang, werden nach Einschätzung von Experten mehr als eine Million Menschen in Lagern festgehalten. (...) In diesen Lagern würden Menschen "psychisch zerstört und gewaltsam umerzogen", sagt Ulrich Delius von der Gesellschaft für Bedrohte Völker (GfBV), einer Menschenrechtsorganisation in Göttingen, die sich seit mehr als 20 Jahren mit der Lage der Uiguren in China beschäftigt.
Volkswagen hat sich auf eine Frage dazu nicht geäußert. Das Unternehmen teilte mit, man gehe davon aus, dass sich Xinjiang weiter wirtschaftlich entwickeln werde, und man weite deshalb "das Engagement in der Region aus". So wurde erst in diesem Jahr eine Teststrecke für Fahrzeuge eingeweiht. Ab dem kommenden Jahr soll in Urumqi auch ein SUV-Modell produziert werden.
Auch Ulrich Delius fordert das Unternehmen auf, sein Engagement in der Region zu stoppen. Er selbst gehe zwar nicht davon aus, dass innerhalb des Werkes Menschenrechte verletzt würden. Aber Volkswagen können nicht einfach wegschauen "und sagen hier in unserem Betrieb ist ja alles okay und draußen, das interessiert uns nicht". Es müsse Volkswagen interessieren, in welchem Umfeld sie dort operieren, sagt Delius. "VW sagt, sie fördern Menschenrechte weltweit. Wir sehen das nicht, dass sie das in China tun und fordern den Konzern auf, endlich Taten folgen zu lassen."
China Cables:
VW und die Frage der Verantwortung
Gemeinsam mit dem chinesischen Kooperationspartner schloss der Konzern dort ein Abkommen mit der Bewaffneten Volkspolizei, einer Gruppierung, die eine treibende Kraft hinter den Internierungen sein soll.
Laut Kritikern mache der Konzern sich mitschuldig an einem der wohl größten Menschenrechtsverstöße dieser Zeit.
aus: ZEIT 25.11.2019
8.12.2019: Mit den China Cables nimmt die Diskussion Fahrt auf. Volkswagen duckt sich weiterhin weg und schweigt, doch die Kritik und die Ergebnisse der Recherchen haben es in sich:
Mit der Eröffnung seines Werkes in Urumqi, einer Stadt im Nordwesten Chinas, hat das Unternehmen 2013 ein Abkommen mit der Bewaffneten Volkspolizei abgeschlossen. Eine Truppe der Einheit ist in einer Kaserne neben dem Werk stationiert. Mit einer feierlichen Unterzeichnung und einer Tour durch die Kaserne besiegelten Volkswagen, sein chinesischer Kooperationspartner und die Polizei das Abkommen. Fotos zeigen den Werksleiter und den Truppenchef, wie sie durch die Kaserne schlendern. In einer Pressemitteilung heißt es, Volkswagen und sein chinesischer Partner freuten sich auf die weitere Vertiefung der Kooperation.
Und die Bewaffnete Volkspolizei hatte dem deutschen Nachbarn anscheinend einiges zu bieten. So bat man dort laut den damaligen Verlautbarungen um Unterstützung bei der "patriotischen Ausbildung" und dem militärischen Training für neu eingestellte Mitarbeiter. Angeblich ging es auch um gemeinsame Feste. Und damit nicht genug: Volkswagen hat der Bewaffneten Volkspolizei auch zwei Autos, vermutlich Geländewagen, überlassen. Autos, mit denen die Polizei möglicherweise Menschen abgeholt und deportiert hat.
Die öffentliche Diskussion erzeugt Druck:
BASF will Arbeitsbedingungen in Xinjiang prüfen
Telepolis bringt einen anderen Aspekt in die Diskussion und fragt nach der Instrumentalisierung der Menschenrechte.
Der Handelskrieg wird begleitet von einer massiven Propaganda gegen China. Welche Rolle spielen die Uiguren?
Es ist eine berechtigte Frage, warum diese Problematik gerade zu diesem Zeitpunkt eine so große Medienpräsenz erfährt. Diese Fragestellung sollte aber nicht zu einer verharmlosung der chinesischen Regierungspolitik gegen die Uiguren führen. Auch wenn es Zweifel an dem verbreiteten Zahlenmaterial geben mag, ist die Gesamtproblematik keinesweg eine Erfindung US-amerikanischer Propaganda. Die autonome Region Xinjiang ist eine rohstoffreiche und industriell wenig erschlossene Region. Die wachsende Ausbeutung der Rohstoffe und der Ausbau der Industrie geht einher mit einem massiven Ausbau der Überwachung und Repression, die sich hauptsächlich gegen den Uigurischen Teil der Bevölkerung richtet. Arbeitslager wurden zu einem normalen Bestandteil der Industrialisierung.
Der Deutschlandfunk berichtete am 3.3.2020:
Mehrere deutsche und internationale Unternehmen profitieren einer Studie zufolge von Zwangsarbeit der Uiguren in China.
Das berichtet das Australian Strategic Policy Institute mit Sitz in Canberra. Demnach wurden in den vergangenen Jahren rund 80.000 Angehörige der muslimischen Minderheit, die in Arbeitslagern in der Provinz Xinjiang interniert waren, in andere Teile des Landes gebracht. Sie müssten dort unter strenger Überwachung in Fabriken arbeiten. Diese Betriebe haben nach Angaben des australischen Instituts angegeben, Teil der Zuliefererketten für mindestens 83 bekannte Firmen zu sein. Darunter sind den Angaben zufolge die Autobauer Volkswagen, BMW und Daimler sowie die Sportfirmen Adidas und Puma.
Im November 2020 berichtet der BBC ausführlich:
Volkswagen says 'no forced labour' at Xinjiang plant
Volkswagen has defended its decision to continue operating a car plant in Xinjiang, a Chinese region mired in allegations of large-scale human rights abuses by the state.
Die WELT nahm das Thema auch 2021 wieder auf:
Geschäfte mit China
Die fehlende Moral von Volkswagen
Der Automobilhersteller VW betreibt ein Werk in der chinesischen Region Xinjiang und ist indirekt Nutznießer von Zwangslagern für Uiguren. Dabei hätte das Unternehmen eine historische Verpflichtung, sich nicht an derartigen Unterdrückungspraktiken zu beteiligen.
Volkswagen-Chef Herbert Diess sagte in dieser Woche auf dem – virtuell abgehaltenen – Davoser Weltwirtschaftsforum, dass China sich in die richtige Richtung bewege. Andere Länder sollten trotz der Probleme mit Demokratie und Menschenrechten mit China Geschäfte machen. Auf die Frage nach Xinjiang und Hongkong antwortete er, dass die Demokratie in China zwar nicht vorankomme – es aber viel besser sei, mit China Handel zu treiben, zu kommunizieren und dort aktiv zu sein, als sich herauszuziehen.
Seine Aussage überrascht mich nicht, obwohl Volkswagen aufgrund seiner eigenen Geschichte eine besondere moralische Verpflichtung hat, sich nicht an entsprechenden Praktiken zu beteiligen und sie zu unterbinden. Im vergangenen Jahr hat VW jedoch die Entscheidung verteidigt, ein Werk in Xinjiang zu betreiben – der chinesischen Region, in der nachweislich Hunderttausende Uiguren und andere Minderheiten in Lagern festgehalten, Frauen zwangssterilisiert und Menschen für Zwangsarbeit eingesetzt werden.
Dass Xinjiang zum beliebten Standort für Fabriken geworden ist, liegt vor allem an den Lagern; wer dort produziert, profitiert entweder direkt oder indirekt von den unmenschlichen Zuständen. Berichten zufolge soll VW der bewaffneten Volkspolizei Fahrzeuge gespendet haben.
Deutsche Unternehmen profitieren nicht nur indirekt von Zwangsarbeit und Menschenrechtsverletzungen, sie tragen auch zur Unterdrückung bei. Bis 2016 stand auf der Website des deutschen Herstellers Microdrones: „Drohnen der MD4-Serie sind bei der chinesischen Polizei sehr beliebt.“ (...)
Update von 23.9.2024
VW hält an Werk in Uiguren-Region fest
(Tagesschau 28.02.2023)
Volkswagens Bluff mit den Menschenrechten
(Spiegel 19.09.2024)
Volkswagen nach Enthüllungen unter Druck: Konzern verfolge „wirklich üble Strategie“ in China
(FR 23.09.2024)