July 10, 2019

Volkswagen und die Uiguren

China ist für Volkswagen nicht nur ein zentraler Absatzmarkt, sondern auch ein wichtiger Produktionsstandort. Seit 2013 betreibt der Konzern ein Werk im Westchinesischen Xinjiang.

Volkswagen und die Uiguren

Volkswagen produziert an acht Standorten in China. Das Land ist der wichtigste Markt für das Unternehmen. Vier von zehn  Autos setzt der Konzern in China ab, bei der Kernmarke VW ist es sogar  jedes zweite. Seit 2013 betreibt Volkswagen auch in Ürümqi ein Werk.

Die Wirtschaftwoche schrieb bereits 2013:

"Werk in Xinjiang

Der riskanteste Standort im VW-Imperium

Das neue Werk in der muslimisch geprägten westchinesischen  Unruhe-Provinz Xinjiang ist der Preis, den der deutsche Autobauer  bezahlen muss, um eine viel größere Fabrik im Osten des Landes  hochfahren zu dürfen.
Die Anlage in Foshan ist für VW enorm wichtig, um den Verkauf in China in eine neue Größenordnung zu  katapultieren: 2,8 Millionen Autos setzte VW 2012 in China ab, in den  ersten acht Monaten 2013 waren es 18 Prozent mehr als im  Vorjahreszeitraum – Tendenz: weiter so.  Mit bestenfalls 50.000 Autos pro Jahr wirkt die Fabrik in Urumqi im  Vergleich zu Foshan wie ein zusätzliches Fließband am Ende der Welt.
Die Provinz mit ihren 22 Millionen Einwohnern gehört zu den ärmsten  Chinas. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt bei umgerechnet rund  4.000 Euro. Asphaltierte Straßen existieren außerhalb der Stadt Urumqi  kaum. Zulieferbetriebe gibt es nicht. Von allen Auslandsinvestitionen,  die 2010 nach China flossen, gingen gerade einmal 0,15 Prozent in die  autonome Region Xinjiang.
VW und die Politiker in Urumqi verbreiten Optimismus. Noch werden die  Mitarbeiter in anderen VW-Werken in China trainiert, bevor sie in Urumqi  arbeiten.
Professor Halik, der Wanderer zwischen den Welten, sagt, dass dies sehr  typisch für die Lage in Xinjiang sei. „Auf dem Papier gibt es keine  Diskriminierung, im Alltag aber findet sie ständig statt.“ Nur wenige  seiner uigurischen Studenten bekämen nach dem Studium einen festen Job,  die chinesischen Kommilitonen schon. „Momentan“, so Haliks Resümee,  „bestätigt Volkswagen mit seiner Personalpolitik die bestehenden  Machtverhältnisse.“

wiwo 22.11.2013  (gekürzt)

VW-Chef Herbert Diess behauptete im April 2019 in einem BBC-Interview von dem Grauen in  Umerziehungslagern für muslimische Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang nichts zu wissen, er wisse nicht, worauf der Reporter hinauswolle. Daraufhin konkretisiert der seine Frage:  "Sie wissen nichts von Chinas Umerziehungslagern für eine Million  schwächer gestellte Menschen, die als 'Bildungszentren' Teil von Chinas  Anti-Terror-Strategie im Westen des Landes sind? Davon wissen Sie nichts?“. Diess: "Darüber ist mir nichts bekannt, sorry." Diese  Aussagen sorgten für Wirbel und machen Menschenrechtsorganisationen fassungslos.

Der Konzern sah sich gezwungen, zu reagieren:

Der Volkswagen Konzern führt ab dem 1. Juli 2019 ein weltweites  Sustainability Rating (Nachhaltigkeitsprüfung) für seine Lieferanten  ein. Das Unternehmen prüft damit das Nachhaltigkeitsverhalten der  Geschäftspartner in seiner Lieferkette im Hinblick auf Risiken bei  Menschenrechten, Umweltschutz und Korruption.

https://www.volkswagen-newsroom.com/de/pressemitteilungen/volkswagen-konzern-verpflichtet-lieferanten-zur-nachhaltigkeit-5122

Es sei an dieser Stelle daran erinnert, daß VW 2012 eine Charta über Zeitarbeit unterzeichnet hat, an die sie sich in dem Werk in Changchun ebensowenig gehalten hat, wie an des Chinesische Arbeitsrecht.

Ergänzung vom 30.7.2019:

Xinjiang:

China bezeichnet Internierungslager als wegweisend    

In Umerziehungslagern in Xinjiang werden verfolgte  Uiguren festgehalten. Die chinesische Regierung behauptet, die Lager  würden ihnen zu Bildung und Arbeit verhelfen.

aus: ZEIT 30.7.2019

 

Update vom 25.11.2019:

Menschenrechtler kritisieren VW-Fabrik in China

Es ist die wohl größte Masseninternierung einer ethnisch-religiösen Minderheit seit dem Zweiten Weltkrieg: Im Nordwesten Chinas, in der Autonomieregion Xinjiang, werden nach  Einschätzung von Experten mehr als eine Million Menschen in Lagern  festgehalten. (...) In diesen Lagern würden Menschen "psychisch zerstört und gewaltsam  umerzogen", sagt Ulrich Delius von der Gesellschaft für Bedrohte Völker  (GfBV), einer Menschenrechtsorganisation in Göttingen, die sich seit  mehr als 20 Jahren mit der Lage der Uiguren in China beschäftigt.
Volkswagen hat sich auf eine Frage dazu nicht geäußert. Das Unternehmen  teilte  mit, man gehe davon aus, dass sich Xinjiang weiter  wirtschaftlich entwickeln werde, und man weite deshalb "das Engagement  in der Region aus". So wurde erst in diesem Jahr eine Teststrecke für  Fahrzeuge eingeweiht. Ab dem kommenden Jahr soll in Urumqi auch ein  SUV-Modell produziert werden.
Auch Ulrich Delius fordert das Unternehmen auf, sein Engagement in der  Region zu stoppen. Er selbst gehe zwar nicht davon aus, dass innerhalb  des Werkes Menschenrechte verletzt würden. Aber Volkswagen können nicht  einfach wegschauen "und sagen hier in unserem Betrieb ist ja alles okay  und draußen, das interessiert uns nicht". Es müsse Volkswagen  interessieren, in welchem Umfeld sie dort operieren, sagt Delius. "VW  sagt, sie fördern Menschenrechte weltweit. Wir sehen das nicht, dass sie  das in China tun und fordern den Konzern auf, endlich Taten folgen zu  lassen."

NDR 25.11.2020

China Cables:

VW und die Frage der Verantwortung

Gemeinsam mit dem chinesischen Kooperationspartner schloss der Konzern dort ein Abkommen mit der Bewaffneten Volkspolizei, einer Gruppierung, die eine treibende Kraft hinter den Internierungen sein soll.
Laut Kritikern mache der Konzern sich mitschuldig an einem der wohl größten Menschenrechtsverstöße dieser Zeit.

aus: ZEIT 25.11.2019

8.12.2019: Mit den China Cables nimmt die Diskussion Fahrt auf. Volkswagen duckt sich weiterhin weg und schweigt, doch die Kritik und die Ergebnisse der Recherchen haben es in sich:

Mit der Eröffnung seines Werkes in Urumqi, einer Stadt im  Nordwesten Chinas, hat das Unternehmen 2013 ein Abkommen mit der  Bewaffneten Volkspolizei abgeschlossen. Eine Truppe der Einheit ist in  einer Kaserne neben dem Werk stationiert. Mit einer feierlichen  Unterzeichnung und einer Tour durch die Kaserne besiegelten Volkswagen,  sein chinesischer Kooperationspartner und die Polizei das Abkommen.  Fotos zeigen den Werksleiter und den Truppenchef, wie sie durch die  Kaserne schlendern. In einer Pressemitteilung heißt es, Volkswagen und  sein chinesischer Partner freuten sich auf die weitere Vertiefung  der Kooperation.
Und die Bewaffnete Volkspolizei hatte  dem deutschen Nachbarn anscheinend einiges zu bieten. So bat man dort  laut den damaligen Verlautbarungen um Unterstützung bei der  "patriotischen Ausbildung" und dem militärischen Training für neu  eingestellte Mitarbeiter. Angeblich ging es auch um gemeinsame Feste.  Und damit nicht genug: Volkswagen hat der Bewaffneten Volkspolizei auch  zwei Autos, vermutlich Geländewagen, überlassen. Autos, mit denen die  Polizei möglicherweise Menschen abgeholt und deportiert hat.

Süddeutsche, 8.12.2019

Die öffentliche Diskussion erzeugt Druck:

BASF will Arbeitsbedingungen in Xinjiang prüfen

ZEIT, 9.12.2019

Telepolis bringt einen anderen Aspekt in die Diskussion und fragt nach der Instrumentalisierung der Menschenrechte.

Der Handelskrieg wird begleitet von einer massiven Propaganda gegen China. Welche Rolle spielen die Uiguren?

Es ist eine berechtigte Frage, warum diese Problematik gerade zu diesem Zeitpunkt eine so große Medienpräsenz erfährt. Diese Fragestellung sollte aber nicht zu einer verharmlosung der chinesischen Regierungspolitik gegen die Uiguren führen. Auch wenn es Zweifel an dem verbreiteten Zahlenmaterial geben mag, ist die Gesamtproblematik keinesweg eine Erfindung US-amerikanischer Propaganda. Die autonome Region Xinjiang ist eine rohstoffreiche und industriell wenig erschlossene Region. Die wachsende Ausbeutung der Rohstoffe und der Ausbau der Industrie geht einher mit einem massiven  Ausbau der Überwachung und Repression, die sich hauptsächlich gegen den Uigurischen Teil der Bevölkerung richtet. Arbeitslager wurden zu einem normalen Bestandteil der Industrialisierung.

Chinas Antwort auf die "China Cables" nimmt einen Umweg über die Terrorbekämpfung. Instrumentalisierung der Menschenrechte - Teil 2

Der Deutschlandfunk berichtete am 3.3.2020:

Mehrere deutsche und internationale Unternehmen profitieren einer Studie zufolge von Zwangsarbeit der Uiguren in China.
Das berichtet das Australian Strategic Policy Institute mit Sitz in  Canberra. Demnach wurden in den vergangenen Jahren rund 80.000  Angehörige der muslimischen Minderheit, die in Arbeitslagern in der  Provinz Xinjiang interniert waren, in andere Teile des Landes gebracht.  Sie müssten dort unter strenger Überwachung in Fabriken arbeiten. Diese  Betriebe haben nach Angaben des australischen Instituts angegeben, Teil  der Zuliefererketten für mindestens 83 bekannte Firmen zu sein. Darunter  sind den Angaben zufolge die Autobauer Volkswagen, BMW und Daimler  sowie die Sportfirmen Adidas und Puma.

DLF 3.3.2020

Im November 2020 berichtet der BBC ausführlich:

Volkswagen says 'no forced labour' at Xinjiang plant

Volkswagen has defended its  decision to continue operating a car plant in Xinjiang, a Chinese region  mired in allegations of large-scale human rights abuses by the state.

BBC 12.11.2020

Die WELT nahm das Thema auch 2021 wieder auf:

Geschäfte mit China

Die fehlende Moral von Volkswagen

Der Automobilhersteller VW betreibt ein Werk in der chinesischen Region  Xinjiang und ist indirekt Nutznießer von Zwangslagern für Uiguren.  Dabei hätte das Unternehmen eine historische Verpflichtung, sich nicht  an derartigen Unterdrückungspraktiken zu beteiligen.
Volkswagen-Chef  Herbert Diess sagte in dieser Woche auf dem – virtuell abgehaltenen –  Davoser Weltwirtschaftsforum, dass China sich in die richtige Richtung bewege. Andere Länder sollten trotz der Probleme mit Demokratie und  Menschenrechten mit China Geschäfte machen. Auf die Frage nach Xinjiang  und Hongkong antwortete er, dass die Demokratie in China zwar nicht  vorankomme – es aber viel besser sei, mit China Handel zu treiben, zu  kommunizieren und dort aktiv zu sein, als sich herauszuziehen.
Seine Aussage überrascht mich nicht, obwohl Volkswagen aufgrund seiner eigenen Geschichte eine besondere moralische Verpflichtung hat, sich nicht an  entsprechenden Praktiken zu beteiligen und sie zu unterbinden. Im  vergangenen Jahr hat VW jedoch die Entscheidung verteidigt, ein Werk in  Xinjiang zu betreiben – der chinesischen Region, in der nachweislich  Hunderttausende Uiguren und andere Minderheiten in Lagern festgehalten,  Frauen zwangssterilisiert und Menschen für Zwangsarbeit eingesetzt  werden.
Dass Xinjiang zum beliebten Standort für Fabriken geworden ist, liegt  vor allem an den Lagern; wer dort produziert, profitiert entweder  direkt oder indirekt von den unmenschlichen Zuständen. Berichten zufolge  soll VW der bewaffneten Volkspolizei Fahrzeuge gespendet haben.
Deutsche  Unternehmen profitieren nicht nur indirekt von Zwangsarbeit und  Menschenrechtsverletzungen, sie tragen auch zur Unterdrückung bei. Bis  2016 stand auf der Website des deutschen Herstellers Microdrones:  „Drohnen der MD4-Serie sind bei der chinesischen Polizei sehr beliebt.“ (...)

Welt 31.1.2021