February 14, 2020

Was ist los in China und Hongkong?

Informationen und Gedanken von Karsten Weber zu den aktuellen Entwicklungen im globalen Zusammenhang

Was ist los in China und Hongkong?

Wir haben im Forum Arbeitswelten eine Menge Informationen gesammelt, widersprüchliche Meldungen zur Kenntnis genommen und gerade im letzten Jahr viel über den Charakter des Regierungsystems in China diskutiert. Neben einem im "express" erschienen Besprechungsartikel zu "Deutsche Linke für Xi Jinping?" wurden dazu einige Diskussionspapiere erstellt, von denen einige auch in Kürze  veröffentlicht werden.  Dies ist der Versuch einer Zusammenfassung von Karsten Weber aus den Gesprächen und Gedanken über die aktuellen Entwicklungen in einer Situation, zu der es keine einheitliche Meinung gibt. Es ist ein Diskussionsbeitrag, ein Schritt zur Meinungsbildung auch für uns selbst, wie auch zur Vorbereitung  unserer Jahrestagung am 27./28. März in Berlin mit dem Thema Arbeitskämpfe in China und ihre Perspektiven - Stimmen aus China.

Die Situation in China und die Auseinandersetzungen in Hongkong sind im globalen Zusammenhang zu betrachten, auch wenn die chinesische Regierung so gern von der besonderen chinesischen Prägung des Sozialismus spricht und die deutsche Linke sich bei der Einschätzung des politischen Verhältnisse des Landes nicht einig ist, die man treffender als "Sino-Kapitalismus" bezeichnen sollte. Auch nicht einig ist sich die deutsche Linke bei der Einordnung der Protestbewegung in Hongkong in die Reihe der weltweiten Aufstände.

Die Situation in China

China öffnete sich zum Weltmarkt und die massive Industrialisierung und wirtschaftliche Liberalisierung machte es zu einer aufstrebende Wirtschaftsmacht und einem der führenden Global Player. Zugespitzt könnte man sagen, dass die Kommunistische Partei Chinas den globalen Kapitalismus gerettet hat. Während die Wachstumsraten des Sozialprodukts in den alten kapitalistischen Zentren seit den 1970er Jahren rückläufig sind, ist China immer mehr zum neuen Zentrum der Kapitalakkumulation geworden. Doch auch ein starker und autoritär auftretender Staat, schützt das Land nicht vor den globalen Krisen. Zu der Krise 2008 sah er sich noch in einer komfortablen Situation und verfügte über einen enormen finanziellen Spielraum, um mit massiven staatlichen Investitionen in die Infrastruktur (Ausbau des Bahnnetzes, Bau von Autobahnen, Flughäfen und Universitäten) den Krisenfolgen entgegenzuwirken. Man warf förmlich mit Geld um sich und verteilte im ländlichen Raum Konsumgutscheine, in einigen Fällen sogar Bargeld, um Unruhen zu verhindern. Die Auswirkungen der globalen Krise waren in China schnell abgefedert und die Wirtschaft war bald wieder am Boomen. Der scheinbar ewige Aufschwung hat jedoch sein Ende gefunden. Es befinden sich die Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklungen im Giftschrank der Regierung. Es gibt Grund zum Zweifel an den öffentlich zugänglichen Zahlen. Doch auch diese Zahlen belegen ein Ende des atemberaubenden wirtschaftlichen Wachstums. Der Wirtschaftskonflikt mit den USA geht nicht spurlos an China vorbei. Der Aufstieg zu einer führenden Weltmacht geht mit einer massiven Aufrüstung einher. Die gewaltigen Subventionen für die E-Mobilität erwiesen sich als Fehlschlag. Die Regierung ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit unbegrenzten finanziellen Reserven ausgestattet.

Die Stabilität der gesellschaftlichen Verhältnisse und die Ruhe in den Betrieben wird nicht mehr mit gezielten staatlichen Investitionen und sozialer Abfederung erkauft, die Regierung Xi Jinping setzt auf Überwachung, Zensur und Repression. Nationalismus soll als gesellschaftlicher Kitt dienen. Repression wird in einem Maße praktiziert, wie es nicht einmal in pessimistischen Prognosen vorhergesehen worden ist. Den Labour NGOs sind die Hände gebunden und Aktivitäten im gewerkschaftlichen Bereich sind ihnen kaum mehr möglich. Die Repression hat sich ausgeweitet auf Bereiche, die nicht als klassenkämpferisch oder politisch oppositionell gelten. Feministische Aktivistinnen, Beratungsstellen für Soziale Probleme und selbst kulturelle Initiativen waren Ziel behördlicher Übergriffe und ihre Treffpunkte wurden geschlossen. Der Trend an Universitäten, daß Studierende sich politisieren, Marx lesen, in Betriebe gehen und Arbeitskämpfe unterstützen, wurde mit Verhaftungswellen und Polizeigewalt beantwortet. Besonders engmaschig war bisher das Netz aus Überwachung und Repression in der Nähe der Hauptstadt, je weiter man nach Süden und in Richtung Hongkong kam, desto grobmaschiger wurde es und Medien und Aktivisten konnten sich mehr herausnehmen. Heute ist gerade Südchina und speziell Guangzhou Ziel staatlicher Repression. Hongkong selbst wurde von Aktivisten aus Festlandchina als Zone besonderer Freiräume geschätzt und genutzt. So konnte man sich dort zu einem Austausch treffen, Erfahrungen und Diskussionsbeiträge online und in Printmedien publizieren. Diese Freiheiten sind Peking ein Dorn im Auge. Sie werden bereits eingeschränkt. Wer als "Troublemaker" aufgefallen ist, wird der Grenzübertritt nach Hongkong verwehrt. Der Versuch, die Angleichung der Verhältnisse in Hongkong an die in Festlandchina zu beschleunigen, hat sich gerächt und ist am Widerstand der Hongkonger gescheitert.

Kaum ein Thema ist in China so stark von der Zensur betroffen, wie die Proteste in Hongkong. Für eine Zeit versuchte man die Unruhen totzuschweigen. Doch dann ging man in die mediale Offensive. Es wurden traurige Ladenbesitzer gezeigt vor eingeschlagenen Scheiben und besorgte Eltern, deren Kinder sich an der Frontline mit der Polizei prügeln. Man interviewte Westler, Touristen oder Geschäftsleute, die sich in Hongkong nicht mehr sicher fühlen oder den Independentfilmer, der die Proteste als vom Ausland ferngesteuert beschreibt. Die brutalen und häßlichen Szenen der Auseinandersetzung, die in den Youtubeclips auftauchten, laufen nun in Dauerschleife im staatlichen Fernsehen. Es gelang auch, diverse Prominente für eine Kampagne gegen die Protestbewegung zu mobilisieren, allen voran Jackie Chan. Der massiv vorangetriebene Nationalismus hat bei einem Teil der Klasse verfangen und es finden sich einfache Menschen, die eine "Schändung" der Nationalfahne persönlich nehmen. Die Mehrheit der Menschen ist zurückhaltend, Hongkong ist weit weg.

Hat der Zustand extremer Überwachung und Repression nun Kämpfe in China unmöglich gemacht? Sicherlich ist vieles schwieriger geworden und es muß nach neuen Wegen des Austauschs gesucht werden. Doch die wirtschaftlichen Entwicklungen verstärken nicht nur soziale Spannungen, sie rufen neue Kämpfe hervor. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich auch in China weiter. Die von einbrechendem Absatz betroffenen Betriebe können nicht mehr mit staatlichen Hilfsprogrammen rechnen. Heute geht die Tendenz dahin, daß die Behörden wegsehen, wenn die Betriebe sich nicht an das chinesische Arbeitsrecht halten und beispielsweise Leiharbeiter zu einem geringeren Lohn beschäftigen als die Stammbelegschaft, obwohl per Gesetz Pflicht zum "Equal Pay" besteht. Die nächsten Kämpfe sind damit vorprogrammiert.

Die Situation in Hongkong

Hongkongs so vielgelobte Freiheiten sind keineswegs ein Geschenk der britischen Kolonialmacht, sondern das Ergebnis zahlreicher Kämpfe. Das Massaker bei einer antikolonialen Demonstration 1925 war der Auftakt zu einer der größten Massenbewegungen in  China. Einem Flächenbrand gleich breiteten sich Proteste über das  gesamte Land aus und gipfelten im 16 Monate währenden Kanton-Hongkong-Streik. Geringe Löhne und tägliche Arbeitszeiten über 12 Stunden, auch an Wochenenden, waren in der britische Kronkolonie noch in den 60er Jahren der Regelfall, es  existierten keinerlei Arbeitsrechte, geschweige Arbeitsvertrags- oder Arbeitssicherheitsgesetze. Den Unruhen von 1967 waren Proteste gegen Fahrpreiserhöhungen vorausgegangen bis Arbeitskämpfe in Schifffahrts, Taxi-, Textil- und Zement-Unternehmen ausbrachen. Bei den dann folgenden militanten Massenprotesten ließ die Kolonialmacht 5.000 Hongkonger verhaften, insgesamt wurden nach britischen Angaben 51 Menschen getötet.

Die sozialen Spannungen wurden mit der Rückgabe der Kolonie 1997 an China weitergegeben. Hongkong glänzt mit einem einmalig hohen Anteil an Millionären und Milliardären und gleichzeitig ist nirgendwo in China ist die Armutsquote so hoch wie in Hongkong. Rund 20 Prozent der Hongkonger Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Hongkong hat mit 51,5 Stunden im Schnitt die längsten Arbeitszeiten der Welt. Es gibt Versuche, die explosive Situation mit administrative Maßnahmen etwas abzufedern. 2011 wurde die Einführung eines Mindestlohns durchgesetzt, der seit 2015 bei  einem Stundenlohn von umgerechnet 3,59 Euro beziehungsweise monatlich  1.466 Euro liegt. Lange über die Zeit der britischen Kolonialregierung hinaus, besaßen Arbeiter in Hongkong kaum Rechte. Die Hong Kong Employment Ordinance regeln erst seit 2014 arbeitsrechtliche Minimalbestimmungen, die unter denen auf dem Festland liegen. An dieser Stelle sollte auch die Tradition Politischer Streiks in Hongkong erwähnt werden.

Die Regenschirmproteste 2014 verstanden sich als Fortsetzung der 2011 in New York entstandenen und sich rund um den Globus ausbreitenden Occupy Bewegung. In Hongkong blieb jedoch die Soziale Frage im Hintergrund. Die Teilnehmer der Proteste forderten freie Wahlen oder wenigstens den Erhalt der bisherigen Regelung. Sie besetzten Teile der Finanz- und Regierungsbezirke Central sowie Admirality und blockierten den Zugang zum Regierungssitz. Diese Bewegung besaß noch eine Führung mit zweifelhafter Besetzung, zu der auch der Hedgefonds-Manager Edward Chin gehörte.

Die aktuelle Protestbewegung entzündete sich ebenfalls nicht an einem sozialen Thema, sondern an der Extradition Bill, dem Gesetz zur Auslieferung von Straftätern nach Festlandchina. Diese Bewegung organisiert sich horrizontal und hat keine Führung. Am 9. und 16. Juni sowie am 18. August 2019 nahmen jeweils weit über eine Million Menschen an den Protesten teil. Bei der ersten Demo gab man noch aus, weiße Kleidung anzuziehen, was sowohl Unschuld als auch Friedfertigkeit demonstrieren sollte, doch dann lautete der Aufruf schwarz zu tragen. Zuerst sollte es Trauer und Wut ausdrücken, heute spricht man vom "größten Schwarzen Block weltweit".

Die ungewöhnlich hohe Beteiligung an der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Tiananmenmassakers war bereits ein Hinweis auf die gewachsene Unruhe in der Gesellschaft Hongkongs, doch die dann folgenden Teilnehmerzahlen überraschten selbst die Organisatoren der Proteste, die die Eigendynamik oder das Entstehen einer Bewegung mit Durchhaltevermögen nicht ahnten.

Wie mit den Gelbwesten in Frankreich ist eine Massenbewegung entstanden, die niemand vorhergesehen hat. Und ähnlich fiel die Reaktion der deutschen Linken aus, die sich mit den jeweiligen Massenprotesten schwertat, die keinen eindeutig sozialen oder linken Parolen folgten. Ein hongkonger Aktivist nannte die Perspektivlosigkeit der Jugend als treibende Kraft dieser Bewegung und hält die Studenten dabei für medial überbewertet. Dazu sollte man die Perspektivlosigkeit genauer definieren.

Der Arbeiter wird um so ärmer,  je mehr Reichtum er produziert,  je mehr  seine Produktion an Macht und Umfang zunimmt. Der Arbeiter wird eine um  so wohlfeilere Ware,  je mehr Waren er schafft. Mit der Verwertung der  Sachenwelt nimmt die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis  zu.

Dieses Marxzitat spricht nicht nur von einer ökonomischen Verarmung, sondern von der "Entwertung der Menschenwelt" und beschreibt die Perspektivlosigkeit der jungen Hongkonger, die nicht allein in den ökonomischen Aspekten ihres Lebens liegt. Das moderne Arbeitsleben kennt kaum noch große Belegschaften oder einen planbaren Lebensweg. Bestimmend ist die Zersplitterung und Atomisierung der Klasse mit Leiharbeit, Werksverträgen, Clickwork, 0-Stundentenverträgen, Scheinselbstständigkeit, Freiberuflichkeit, den wachsenden Sektor der Gig-Economy. Dabei verschwindet die Gemeinschaft einer Belegschaft, genauso wie eine geregelte Arbeitszeit und oftmals kennt man nicht einmal mehr einen Chef, den man gemeinsam hassen kann. Der Arbeitsauftrag kommt per App oder man muß sich selbst aus einem Pool von Angeboten herauspicken. Diese Deregulierung und Vereinzelung führt zu einem Lebensgefühl der Hoffnungslosigkeit, der sich in einem steilen Anstieg psychischer Erkrankungen manifestiert. Den jungen Menschen gaben die Proteste die Möglichkeit, aus ihrem Alltag und ihrem freudlosen Leben ohne Hoffnung auf Besserung auszubrechen, in dem man ein Nichts ist und zerrieben wird in anonymen und alternativlosen Zwängen. Sie sahen sich in einem "Endkampf" und beriefen sich dabei auf die Superhelden Hollywoodproduktion "Endgame".

Marx rief dazu auf...

...alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein  geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.

Die jungen Hongkonger verloren in den immer militanter werdenden Kämpfen das Gefühl, ein Nichts und nur Spielball der Verhältnisse zu sein. Sie begannen das Leben in ihren kollektiven Kämpfen zu spüren, die die Hongkonger Polizei und Regierung überforderten, so daß während einer großen Demonstration Hunderte Militanter ins Parlamentsgebäude eindringen konnten und es verwüsteten. Ihr Leben war nicht mehr losgelöst von der Welt und ihrem Lauf. Ihre gemeinsam auf die Straße getragene Wut hatte einen Einfluß auf den Lauf der Welt und gab ihnen das Gefühl, aus der Lernfabrik und den prekären Jobs den Weg ins Leben gefunden zu haben. Sie wollen nicht mehr zurück.  

Die Bewegung formulierte fünf  Forderungen: 1) Die vollständige Rücknahme des Auslieferungsgesetzes, 2)  den Ausschluss von Anklagen wegen ‘Aufstand’ (riot, Landfriedensbruch) gegen Protestierende, 3) die Freilassung verhafteter Protestierender und das Fallenlassen aller Anklagen gegen sie, 4) eine  unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt und 5) Rücktritt von Carrie Lam und die Einführung echter allgemeiner Wahlen.

Die 5 Forderungen, bei den Protesten gerufen oder auf Wände gesprüht, sind ein Dauerbrenner

Die Auseinandersetzung hat die Massen mitgerissen und so manch aufgestaute Wut brach sich Bahn. In der Wut der einfachen Menschen spiegelt sich so manches wider, was bereits im gesellschaftlichen Alltag unsichtbar unter der Oberfläche schwelte. Und der Rassismus ist in Hongkongs auf Konkurrenzkampf gepolter Gesellschaft ein Dauerproblem, das sich weder an sozialer Stellung, noch an Bildungsstand festmachen läßt. Auch wenn die eigenen Eltern oder Großeltern vom Festland (oftmals illegal) in Hongkong eingewandert sind, hält man Festlandchinesen für tendenziell ungehobelt und kriminell. So gab es bei den Protesten auch Ausschreitungen gegen Festlandchinesen, die von dem Verkauf von im kleinen Grenzverkehr ins Land gebrachter Waren leben. Ihnen warf man vor, sie würden damit Steuern an Hongkong unterschlagen. Die Unüberschaubarkeit der Auseinandersetzungen ließ deutsche Linke noch weiter auf Distanz gehen.

Der Kampf wurde gegen die Regierung geführt, doch die Auseinandersetzungen fanden als Straßenkämpfe mit der Polizei statt, die mit ihrem immer gewalttätigeren Auftreten zu einem Feindbild der Protestierenden wurde. Sie schulten sich schnell in Selbstverteidigung und ihr Schutz mit Regenschirmen, Bauhelmen und Schutzmasken wurde zu ihrem Markenzeichen. Ihre Organisationsstrukturen wuchsen im Straßenkampf, neben diversen Kommunikationstechniken mit verschlüsselten digitalen Medien verbreiteten sich Handzeichen. Demosanitäter oder Ermittlungsausschüsse, die sich um den Verbleib Verhafteter kümmerten, entwickelten sich aus der Notwendigkeit der Situation.

In den Auseinandersetzungen mit der Polizei entwickelten sich Kampftechniken und Verteidigungsmaßnahmen in einer Rasanz, wie wohl nirgendwo sonst auf der Welt. Der Einsatz von Laserpointern und die Angriffe gegen staatliche Überwachungsmaßnahmen fanden weltweit Beachtung:

Cyberpunk. Ins öffentliche Bewusstsein eingebrannt haben sich zu den seit Juni andauernden Protesten bereits Bilder, die zunächst an ein urbanes Techno-Spektakel erinnern: Demonstranten richten bunte Laserstrahlen auf die in Hongkong im öffentlichen Raum schier omnipräsenten Videokameras,  die unter anderem auch in "intelligente" Straßenlaternen eingebaut  sind. Die preisgünstigen Pointer sollen die Systeme zur  Gesichtserkennung beeinträchtigen, mit denen die Polizei die  Videostreams teils analysiert. Um die missliebigen Hightech-Lampenmasten  zu Fall zu bringen, greifen Gegner aber auch schon mal zur Kettensäge oder zu Seilen.
Auf die Frage hin, ob es sich bei derlei an Science-Fiction erinnernde Szenen um Cyberpunk handle, entgegnete mit William Gibson einer der Mitbegründer des Genres auf Twitter: "Wenn es das nicht ist, was dann?".

berichtet Heise.

Der Wille und die Fähigkeit der Protestbewegung sich zu Verteidigen, wurde oft unterschätzt. Mafiaschläger, die sich unter die Demonstranten gemischt hatten, um dort für Chaos zu sorgen, konnten nur noch stark lädiert das Weite suchen. Ähnlich erging es einer Gruppe Zivilpolisten, die plötzlich innerhalb der Demo ihre Teleskopschlagstöcke zogen und wahllos um sich schlugen. Die Demonstranten gingen derart ge- und entschlossen gegen die Angreifer vor, daß einer der Beamten in Panik seine Waffe zog und schoß. In den Auseinandersetzungen kam es mehrfach zu dem Gebrauch von Schußwaffen seitens der Staatsmacht. Doch solche Maßnahmen vermochten die Bewegung nicht zu verängstigen und zurückzudrängen, sondern vergrößerten nur ihre Wut.

Die Bewegung brachte zahlreiche eigene Grafiken hervor

Die Dynamik dieser Kämpfe machten weltweit Eindruck. Proteste und Aufstände auf anderen Kontinenten beriefen sich auf den permanenten Aufstand in Hongkong und bedienten sich seiner Symbole.

Bauhelme, Schutzbrillen und Atemmasken beim Arabischen Fühliong 2019
Bauhelme, Schutzbrillen und Atemmasken beim aktuellen Arabischen Frühling 
Gelbwesten in Paris mit der Hongkonger Flagge (schwarzrote Version)
Gelbwestendemo (Paris) mit hongkonger Flagge (schwarzrote Version)
Widerstandskultur im Irak
Nicht Hongkong, sondern Bagdad
Selbstverteidigung in Chile
und in Nantes
Nochmals Bagdad

Die Kämpfe in Hongkong wirkten nicht nur weltweit inspirierend, sondern viele verstanden die Repression gegen die Bewegung als einen Angriff auf alle rebellierenden und für ihre Rechte kämpfenden Menschen und man zeigte grenzüberschreitend Solidarität.

Uni Bochum
Malaysia

Über Grenzen wirkte nicht nur die Symbolik von Rebellion und Kampf gegen die Staatsgewalt, anderswo lernte man auch von den Kampfformen und Vorgehensweisen.

Laut Medien bediente sich die katalanische Protestbewegung beim Drehbuch aus Hongkong

In Katalonien folgte man erklärtermaßen dem Hongkonger Vorbild und begab sich zum Flughafen Barcelona, um den Flugverkehr lahmzulegen.

Flughafenblockade Katalonien

Die Protestbewegung Hongkongs hat dreimal zu einer Arbeitsniederlegung aufgerufen. Einmal hat es gefruchtet und ca. 350.000 blieben der Arbeit fern. In Katalonien wurde im Zusammenhang mit der Flughafenblockade ebenfalls zum Streik aufgerufen. Diese Forderung wurde von den Gewerkschaften aufgegriffen. In Hongkong spielten bei dem Arbeitskampf die Gewerkschaften jedoch keinerlei Rolle. Es ist eine spannende Erfahrung, daß eine Arbeitsniederlegung auch jenseits gewerkschaftlicher Strukturen von einer Bewegung organisiert werden kann.

Streikaufruf der Protestbewegung

Die rasante Radikalisierung der Bewegung verlief alles andere als Reibungsfrei und die Konflikte wurden auch innerhalb der Familien ausgetragen. Auch wenn sich an der "Frontline" hauptsächlich junge Leute befanden, zeigen ältere Anwohner angesichts der Polizeigewalt Solidarität und öffneten den Demonstranten Fluchtwege oder legten weiße T-Shirts aus, damit sie nicht im schwarzen Demonstrantenlook von der Polizei aufgegriffen werden. Ein Geschäft für Haushaltsbedarf und Arbeitskleidung wurde von der Polizei gestürmt, weil es Demo-Outfit (Helm, Schutzbrille und Atemmasken) zum Selbstkostenpreis verkaufte. Es war nicht abzusehen, ob die Militanz einiger zu einem Einbruch bei der Beteiligung führen und die Gewaltfrage die Bewegung schwächen oder spalten würde.

Hongkonger Aktivisten trafen bei einem internationalen Sommercamp auf französische Gelbwesten und sie verstanden einander auf Anhieb. Die Gelbwesten beschrieben die Parallelen in ihrem Kämpfen: "Wir kämpfen aus einer Position der Schwäche heraus. Wir sind nicht in den Betrieben organisiert, die Betriebe, in denen wir arbeiten, sind dazu oft viel zu klein. Uns bleibt nur, auf die Straße zu gehen und die Verkehrs- und Warenströme zu blockieren. Wir haben Betriebe von außen blockiert, weil wir von innen keinen Kampf organisieren konnten. Und oft haben uns die jeweiligen Kollegen bei den Blockaden unterstützt." Sie berichteten auch von den Anfeindungen von links, als die Gelbwestenbewegung als unpolitisch bis antisemitisch und rechts unterwandert denunziert wurde. Die ersten massiven Beschuldigungen kamen von den Gewerkschaften, denen eine Konkurrenz auf ihrem Terrain nicht geheuer war. Und erst vor Kurzem erklärte der Grüne Daniel Cohn Bendit die Gelbwesten zu einem Haufen von Autofreaks, die nur billige Spritpreise wollten, sich nicht um die Umwelt scherten und bei den Wahlen ihr Kreuz Le Pen gäben.

Zu Beginn der Proteste in Hongkong  überschlugen die westlichen Medien sich förmlich vor Begeisterung, denn es ging da um Demokratie und gegen das Kommunistische China. Doch diese Bewegung lieferte nicht nur aufregende Bilder für die westliche Propaganda, sie wirkte sich auch zunehmend auf die Wirtschaft Hongkongs aus. Zahlreiche westliche und auch deutsche Unternehmen machen dort gute Geschäfte. Sie wurden unruhig angesichts eines immer unsichereren Umfelds. Die Medien folgten mit einem Kurswechsel. Sie finden, die Demonstranten übertrieben allmählich und aus Freiheitskämpfern wurden "Chaoten".

Die große Leere: So leidet Hongkongs Wirtschaft unter den anhaltenden Protesten (...) Allein im November kamen 56 Prozent weniger Touristen als noch im Vorjahreszeitraum.

Handelsblatt 21.12.2019

Die Stadt leidet immer mehr unter den Folgen der Demonstrationen. Daran  können Geschäftsleute in der Finanzmetropole kein Interesse haben.

NZZ 9.10.2019

Für die bereits angeschlagene Hongkonger Wirtschaft sind solche  Meldungen eine Katastrophe, weil das Vertrauen der Investoren und auch das ausländischer Touristen immer mehr schwindet.

NZZ 6.10.2019

Die Hongkonger haben jedes Recht, sich gegen die Unterwanderung ihres unabhängigen Systems durch den chinesischen Staat zu wehren. (...) Die Forderungen in ihrer Absolutheit sind ein Irrweg. Sie haben zur  Radikalität vieler Demonstranten geführt. Das gefährdet längst die Ziele  der Bewegung.

Süddeutsche 24.11.2019

Die deutsche Wirtschaft muss Stellung beziehen(...) Würde Peking die Einsatzkräfte, die es bereits an der Grenze zu Hongkong stationiert hat, in die chinesische Sonderverwaltungszone schicken,  wäre die Stadt über Nacht wirtschaftlich tot. (...) Die deutsche Wirtschaft drückt sich um eine klare Positionierung. (...) Im Hintergrund verbieten deutsche Firmen ihren Mitarbeitern, an den  Protesten teilzunehmen. Jedes Wort wird abgewogen, die Bundesregierung um leise Töne angefleht.

Süddeutsche 17.8.2019

Schluss mit der Gewalt in Hongkong!
Die radikalen Demonstranten in Hongkong müssen zur  Vernunft kommen und auch die Polizei muss in erster Linie auf  Deeskalation setzen. Andernfalls verspielen beide Seiten die Zukunft  Hongkongs, meint Dang Yuan.
Doch die Gewalt und Radikalität der Chaoten bewirkt genau das  Gegenteil. Hongkong ist inzwischen in Verruf geraten: Internationale  Konzerne überlegen, ihre Firmensitze zu verlegen, der Einzelhandel  beschwert sich über Umsatzeinbrüche, da viele Touristen inzwischen den  "Duftenden Hafen" meiden. Solange Hongkong nicht wieder zur Ruhe kommt,  wird es schwierig, politische Lösungen zu finden.
In der jetzigen Situation wäre es äußerst unklug von der Hongkonger Regierung, das geplante verschärfte Gesetz zur inneren Sicherheit durchs Parlament zu bringen.

Deutsche Welle 11.11.2019

Oft wird behauptet, China sei auf Hongkong als Handelsplatz und Tor zum Westen, sowie als Finanzplatz angewiesen. Diese Sicht ist nicht nur stark verkürzt, sie trifft nicht zu. Der Finanzplatz Shanghai hat eine wachsende Bedeutung und der Ausbau der Häfen in Festlandchina ließ den Hafen Hongkongs ins Hintertreffen geraten. China hat schon oft bewiesen, daß es zu gewaltigen, zugleich kurzfristigen und erfolgreichen wirtschaftlichen und baulichen Umstrukturierungen in der Lage ist. Festlandchina ist nicht von Hongkong abhängig. Hongkong ist schlichtweg weiterhin profitabel. Die Menschen dort funktionieren weitgehend in einem auf extreme Konkurrenz basierenden System und daran möchte man nicht rütteln. Wenn Honkong mit seinen größeren Freiheiten bereits auf das Leben in Südchina ausstrahlt, wäre das Ausreisen eines Großteils der Bevölkerung, bei einer wirtschaftlichen "Aufgabe" Hongkongs, ein unkalkulierbares Risiko.

Die Bewegung ist nicht nur bei ihren Demonstrationen und Besetzungen spürbar, sie gewann im öffentlichen Leben an Einfluß. Sportevents wurden zur Plattform ihrer Forderungen, Shoppingcenter zur Bühne des Protests. Als militärische Aufmärsche vor der Grenze Honkongs und weiteres Säbelrasseln der Chinesischen Regierung nicht den gewünschten Erfolg zeigten, wurden selbst die offiziellen Feierlichkeiten in Hongkong zum 70 jährigen Bestehen der VR China abgeblasen. Ein Gesichtsverlust.

Die Dynamik der Bewegung schafft nicht nur Unsicherheiten, sondern auch Begehrlichkeiten. Es gibt massive Versuche, Einfluß auf die Bewegung zu nehmen. Die Bildzeitung hofiert Joshua Wong und präsentiert ihn als "Gesicht der Bewegung". Die britische und insbesondere die US Regierung wittern Chancen und begnügen sich nicht mit einer abwartenden Haltung. Gleichzeitig erhalten die politischen Parteien, die die eine Nähe zur Bewegung signalisieren, finanzielle Unterstützung durch das Hongkonger Kapital, während Unternehmen mit Stammsitz auf dem Festland das Pro-Peking Lager unterstützen.

Es ist nicht nur die verzerrende Darstellung der Medien, die so gern Bilder von Demonstranten mit US Fahnen verbreiten, die es erschweren, sich ein Bild von dieser Bewegung zu machen.

Die Konkret erklärt uns die Welt‌

Es ist keine homogene Bewegung. Es ist keineswegs eine rein studentische Bewegung, es protestieren (zumal in den Großdemos) auch viele andere Berufsgruppen, wie Angestellte der Finanzinstitutionen, Fachkräfte aus dem Gesundheitssektor und auch  Beamte, wie zahlreiche prekär Beschäftigte. In der Bewegung spiegeln sich die Widersprüche in der Hongkonger Gesellschaft, bzw. Klasse wider. Nationalistische und rassistische Tendenzen finden sich bei den sogenannten Lokalisten, die den rechten Flügel der Bewegung bilden. Sie stellen nicht den dominierenden Teil der Bewegung. Unsere Kontakte und Kooperationspartner in Hongkong sehen sich selbst als Unterstützer, bzw. Teil der Bewegung, in der linke und linksradikale Kräfte aktiv gegen diese Tendenzen arbeiten und nicht in Peking ihren Hauptgegner sehen. "C U at the bottom", sprühten Demonstranten an die Wände im Regierungsviertel, "Wir sehen uns ganz unten." Die Sympathie der Hongkonger Bevölkerung für die Bewegung ist enorm, in einer Befragung Anfang 2020 zeigte eine Mehrheit ihre Unterstützung gegenüber der Protestbewegung, jeder 5. gab an, auch für den militanten Kampf der Bewegung Verständnis zu haben.

Intern wird über den weiteren Weg gerungen. Die linke Zeitschrift Lausan richtet den Blick auf eine wenig belichtete Ursache der Unruhen in HK:

Wie sich die Hegemonie der Immobilienwirtschaft hinter den Unruhen in Hongkong verbirgt
Unbezahlbare Mieten werden zwar nicht explizit in den Hauptforderungen der Bewegung angesprochen, prägen aber jede Facette des gesellschaftlichen Lebens in Hongkong. Fast die Hälfte der Wohnungen in Hongkong wird für mehr als 20.000 HKD (2.550 USD) pro Monat vermietet, was mehr als 70% des durchschnittlichen Haushaltseinkommens entspricht - damit ist Hongkong der teuerste Wohnungsmarkt der Welt. Selbst mit der Verfügbarkeit von nicht ausreichend genutztem Land hat es die Regierung versäumt, mehr Sozialwohnungen zu bauen oder die Mieten zu senken. Dies ist zum Teil auf die noch verbliebenen kolonialen Institutionen Hongkongs zurückzuführen.
Dass die Kommunistische Partei Chinas kapitalistisch ist, will man hierzulande oftmals nicht hören.

In einem weiteren Artikel versucht man mit der sozialen Frage einen Gegenpol zu den nationalistischen Stimmungen zu liefern:

Wenn unser Heimatland so wunderbar ist, warum revoltieren wir dann?
Wie unsere Lehrbücher Hongkong als "internationales Finanzzentrum, internationale Metropole und Einkaufsparadies" beschreiben, ist erschreckend weit von unserer Realität entfernt. 1,4 Millionen Hongkonger leben unterhalb der Armutsgrenze. 1,4 Millionen! Ein Fünftel unserer Bevölkerung kann sich kaum zwei Mahlzeiten am Tag leisten, lebt von staatlichen Leistungen und in unterteilten Wohnungen; einige gehen ziellos durchs Leben und finden keine Arbeit.

Es gab schließlich durchaus schlimme Momente in den Auseinandersetzungen, wie Übergriffe auf Händler aus Festlandchina und Plakate, die zur Ausreise von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus aufforderten.  

Die Betroffenen erhoben selbst ihre Stimme.

Auf dem Marsch gegen das Auslieferungsgesetz am 9. Juni 2019 halten die Demonstranten ein Transparent mit der Aufschrift "Widerstand fragt nach keiner Herkunft; neue Einwanderer verteidigen Hongkong".
Eine Gruppe von Migrantinnen vom chinesischen Festland, die von einer Organisation für gegenseitige Hilfe organisiert wurde, nahm am 9. Juni an der Kundgebung gegen das Auslieferungsgesetz teil. Auf ihrem Transparent ist zu lesen: "Der Widerstand schließt Einwanderer ein; wir marschieren gemeinsam im Kampf für Demokratie." 

Die Diskussion wird nicht nur mit der Öffentlichkeit geführt, sondern auch intern, innerhalb der Bewegung. Den Schwenkern der Stars and Stripes und des Union Jacks erklärte man:

Die Bewegung hat sehr problematische Kräfte zur Unterstützung herangezogen.
Eine ernsthaftere Sorge als die Unwirksamkeit des Vertrauens auf die G20-Staaten, um Druck auf die KPCh auszuüben, besteht darin, dass diese Taktik diejenigen verrät, die unter der staatlichen Unterdrückung unter genau den Regierungen leiden, für die die Bewegung Lobbyarbeit betreiben will. Gleichzeitig sind Proteste gegen G20-Konferenzen in der Vergangenheit mit Polizeigewalt und Massenverhaftungen konfrontiert worden.

Besonders interessant wird es, wenn über die nationalen Grenzen hinaus gedacht und gehandelt wird. Eine Solidaritätskundgebung für die Proteste in Katalonien ist ein Beispiel.

Protestbwegungen auf verschiedenen Kontinenten doch so nah. 
Solidaritäts- und Infoveranstaltung für Katalonien
Videos von den Kämpfen in Barcelona

Der Youtuber Chilli Lucas spielt eine besondere Rolle bei der globalen Verbreitung der Proteste. Er stellt in seinem Youtubekanal Livestreams von Protesten zusammen und kommentiert und erklärt sie live auf Englisch. Er stammt aus Chile, lebt in Hongkong und spricht Kantonesisch. Als er mitbekam, daß Hongkonger Demonstranten Symphatie für den chilenischen Autokraten Piñera zeigten, platze ihm der Kragen und er erklärte auf Kantonesisch die Hintergründe der Massenproteste in Chile und die Parallelen zu den Auseinandersetzungen in Hongkong.

Chilli Lucas sieht sich als Hongkonger und als Chilenen. Er steht auf der Seite der Protestierenden beider Länder

Da die Bewegung zu sehr auf ihren regionalen Konflikt fokussiert ist, bemühen sich Aktivisten, auf internationale Parallelen und Zusammenhänge zu verweisen:

Z.B. Polizeigewalt in Athen wie in Hongkong
Internationalismus vor dem Gebäude der Hongkonger Börse
Solidarität mit Aufstandsbewegungen und der Umweltbewegung
Solidarität mit furchtlosen Protestierenden

Die Widersprüche innerhalb der Bewegung sind nicht gelöst und nationalistische und xenophobe Tendenzen sind nicht verschwunden, doch die Bewegung hat sich weder niederschlagen, noch aussitzen lassen. Sie bleibt ein unlösbares Problem für die Regierung Xi Jinping.

Ralf Ruckus kommentierte die Kritik deutscher Linker an der Protestbewegung mit:

Es ist leicht festzustellen, dass „die in Hongkong ja nur Demokratie  wollen.“ Ich werde jedoch niemandem, der konkret bedroht ist von  massiver Unterdrückung und Zensur wie in China, vorwerfen, dass sie oder  er „nur“ gegen die Diktatur kämpft.

Egal wie nun politische Beobachter die Auseinandersetzungen wahrnehmen und beurteilen mögen, bei weltweiten Aufständen spielt Honkong eine wichtige Rolle. Die beeindruckende Organisiertheit, der Zusammenhalt gegen Polizeigewalt und Mafiaschläger, die Kreativität in der Kommunikation, die Militanz und die Vielfalt an Kampfformen und Aktionen, wirken inspirierend. Von der Bewegung, die sich von einer der mächtigsten Regierungen der Welt nicht einschüchtern läßt, möchte man sich eine Scheibe abschneiden und nimmt sehr bewußt in den eigenen Kämpfen Bezug auf Honkong. Wir können globale Entwicklungen in den Protestformen beobachten.

Die Lennon Walls sind ein schönes Beispiel. Sie haben ihren Ursprung im Prag der frühen 80er Jahre, in dem eine Mauer mit einem John Lennon Grafity zu einem Treffpunkt der Protest- und Gegenkultur wurde. An dieser Mauer hinterließ man auch eigene Botschaften. In Hongkong wurde die Idee wieder aufgegriffen und erblühte dort zu einer eigenen Kultur, die nicht nur mit einer eigenen Wikipediaseite gewürdigt wurde, sondern auch in zahlreichen TV Beiträgen dokumentiert worden ist.

Zweieinhalbminütige Doku von der South China Morning Post

Hongkongs Lennonwände tauchten dann auch im Nahen Osten auf.

Lennon Wand in Bagdad

Info zum aktuellen Stand der Auseinandersetzungen in Hongkong:

Internationale Medien zeigten sich erschüttert, daß die Bank HSBC Ziel militanter Angriffe wurde. Die Corona Epedimie führte nun zu einem weitgehenden Verzicht auf Versammlungen und Demonstrationen. Man hat den Protest auf Boykottkampagnen verlegt und es werden Geschäfte gekennzeichnet, ob sie mit der Bewegung sympathisieren oder den pekinger Kurs unterstützen.

Bruce Lee in Nantes (Hongkong - Athen - Nantes - Solidarität)

Fazit

Die Maßnahmen der Chinesischen Regierung erschweren zwar das Organisieren von Kämpfen und den internationalen Austausch, doch beides ist damit nicht unmöglich geworden. Es steht fest, daß wir nicht mit unserer bisherigen Arbeitsweise weitermachen und keine wechselseitigen Besuche mit Gruppen von Arbeiteraktivisten organisieren können. Der Austausch muß diesen offiziellen Charakter verlieren und sich der Normalität der Bewegung und Kommunikation von Menschen in globalisierten Zeiten anpassen. Im Tourismus gehört Ostasien zu den normalen Zielen, die globale Wirtschaft ist sowieso darauf angewiesen, ihr Personal grenzüberschreitend einzusetzen und Deutsche studieren in China, wie Chinesen deutsche Unis besuchen. Deutsch-Chinesische Freundschaften, Paare und Familien sind keine Seltenheit. In diesen alltäglichen Zusammenhängen werden Informationen transportiert und Diskussionen geführt. Wir sollten in unserer Arbeit diesen Strukturen folgen und sie nutzen.

Aktueller Nachtrag

Die verbreitete Einschätzung, die Chinesische Regierung hätte mit ihrem ausgeklügelten Vorgehen aus Zensur, Propaganda, Überwachung und Repression gewonnen und mit dem Sozialkredit System die Bevölkerung hirngewaschen und gleichgeschaltet, erwies sich angesichts der angespannten Situation während der Corona Epedimie als falsch. Der Arzt Li Wenliang, der frühzeitig die Gefahren der Coronavirusvariante erkannte, dafür von den Behörden wegen Verbreitung von „Gerüchten“ gemaßregelt wurde, wurde mit seinem Tod zu einer Symbolfigur. In ihm sehen die Menschen ein Opfer staatlicher Repression und gleichzeitig einen unbeugsamen Menschen. Es brach sich die aufgestaute Unzufriedenheit im Netz in ungeahnter Wucht Bahn.  Eine derart kollektive Reaktion im Internet hat es in China noch nicht  gegeben. Die Hymne "Do you hear the People sing", die auch schon bei den  Protesten in Hongkong eine zentrale Rolle gespielt hat, wurde millionenfach geteilt. Auch der Satz, den Li Wenliang selbst in einem  Caixin-Interview sagte: "Eine Gesellschaft sollte nicht nur eine Stimme  haben."

(Karsten Weber)

Weitere Texte zum Thema:

Au Loong Yu: Weder Washington noch Peking

Ralf Ruckus: Hongkong: Proteste, Randale, Perspektiven?

Sophia Chan: For Hong Kong, Beijing’s so-called ‘anti-imperialism’ is a sham

Interview with Derek Chu Kong-wai: The ‘explosive potential’ of workers