August 11, 2021

Massenverweigerung statt offener Proteste

Verweigerungshaltung und subversive Strategien gegen kapitalistische Verwertung

Massenverweigerung statt offener Proteste

Die Einführung des Sozialkredit-Systems, sowie die massive Ausweitung von Überwachung, Zensur und Repression zeigen zwar Wirkung, doch führten sie nicht zu einem Ende der Sozialen Auseinandersetzungen. Unter den Lohnabhängigen zeigen sich viele kreativ, umgehen und untergraben mit kollektiven Verhaltungsänderungen die Erwartungen des Staates, ohne Angriffsfläche für Repression zu bieten.

Die Regierung droht gerade wieder in ihrer Bevölkerungspolitik zu scheitern. Erst 2015 hatte man die Ein-Kind-Politik abgeschafft und eine Zwei-Kind eingeführt. Im Mai dieses Jahrer wurde auch sie offiziell abgeschafft und durch eine Drei-Kind-Politik ersetzt. Nun heißt es, auch Familien mit vier oder mehr Kindern sollen künftig nicht mehr bestraft werden. Bei Bewerbungen um Arbeitsplätze solle die Zahl der Kinder keine Rolle mehr spielen. Doch auch diese Maßnahme dürfte viele Frauen nicht dazu bringen, mehr Kinder zu kriegen. Man spricht inzwischen von einem Gebärstreik.

Insbesondere unter den Jugendlichen zeigt sich eine Verweigerungshaltung       unter dem Stichwort "tang ping" eine Gegenbewegung, die die Obrigkeit verunsichert. Das Karrieredenken hat Risse bekommen, wenn das Hashtag "Liegenbleiben", das den Müßiggang als attraktive Alternative gegenüber Arbeit und Konsum propagiert, eine halbe Milliarde Klicks erhält.

Die großen Städte scheinen ihre magnetische Wirkung auf die Landbevölkerung zu verlieren. Viele Arbeitsmigranten wollen nicht zurück an die Fließbänder und auf die Baustellen. Sie bleiben lieber in der Nähe ihrer Heimatdörfer. Viele versuchen im Onlinehandel oder anderen computerbasierten Jobs ein Einkommen jenseits der teuren und abweisenden Städte zu finden. Man spricht inzwischen von einer umgekehrten Migration und viele Industriebetriebe haben Probleme, ausreichend Personal für die Produktion zu finden. Man sieht sich gezwungen, durch attraktivere Löhne und Boni Arbeitskräfte anzulocken. Für viele Lohnabhängige ist das "Jobhopping" zu einer Strategie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen geworden.

China braucht 11,8 Millionen Arbeitskräfte (...)

(...) Die Lücke kann in zwei Komponenten unterteilt werden: eine "demografische Lücke" und eine "Bildungslücke". (...)
Das chinesische Bildungsministerium hat kürzlich betont, wie wichtig es ist, den Anteil der Berufsschulen im Verhältnis zu den Gymnasien zu erhöhen. Die Auswirkungen der Förderung der Berufsausbildung sind jedoch bescheiden: Viele Chinesen halten die Berufsausbildung für minderwertig und von geringerem sozialem Prestige als die traditionelle Hochschulausbildung. In der Ära der "New Economy" und ihrer wachstumsstarken Spitzentechnologie-Industrien ist der Bedarf an mehr beruflicher Bildung jedoch dringender denn je. Es ist wichtig, den Einzelnen zu ermutigen, sich die von der "New Economy" geforderten Fähigkeiten, insbesondere digitale Fähigkeiten, durch Online-Lernen und Kurzqualifikationen lebenslang anzueignen, um der wachsenden Nachfrage nach demokratisiertem Lernen und Umschulung gerecht zu werden.
Die Erfahrung Singapurs legt eine andere Möglichkeit nahe, die Bildungslücke zu schließen, nämlich die Zuwanderung in die Branchen mit dem größten Arbeitskräftemangel zu erleichtern.  (...) Im Rahmen eines reformierten, abgestuften Einwanderungssystems können mehr befristete Arbeitsvisa, Daueraufenthaltsgenehmigungen und Staatsbürgerschaften an Ausländer mit bestimmten Qualifikationen, einschlägiger Erfahrung und Bildungshintergrund vergeben werden, um den Bedarf bestimmter Branchen zu decken. Außerdem könnte eine offenere Einwanderungspolitik dazu beitragen, Chinas negativen Nettozuwanderungsstrom der letzten fünf Jahrzehnte auszugleichen und die chinesische Gesellschaft multikultureller und vielfältiger zu machen.

World Economic Forum 16.7.2021

Umgekehrte Migration" nimmt in China zu, da Arbeiter die Großstädte aufgeben

Offiziellen Daten zufolge sind Millionen Chinesen nach der Coronavirus-Pandemie im vergangenen Jahr nicht zum Arbeiten in die Städte zurückgekehrt.
Die Rückwanderung wird sich in den kommenden Jahren beschleunigen, zum Teil, weil [die Arbeiter] sich keine städtischen Wohnungen leisten können und keinen Zugang zur städtischen Gesundheitsversorgung haben", sagte Dan Wang, Chefökonom von Hang Seng China in Shanghai. (...)
Nachdem sie jahrelang versucht haben, sich in den Städten durchzuschlagen, kehren Chinas Wanderarbeiter nun in ihre Heimat zurück.
Eine alternde Bevölkerung, hohe Lebenshaltungskosten und neue Geschäftsfelder wie Livestreaming-E-Commerce tragen dazu bei, dass sich der Ansturm auf die Großstädte, der Chinas Wirtschaftswachstum in den letzten Jahrzehnten bestimmt hat, umkehrt.
Offiziellen Daten zufolge kehrten Millionen von Chinesen nach der Coronavirus-Pandemie im vergangenen Jahr nicht zum Arbeiten in die Städte zurück. Ende März gab das Statistikamt an, dass es immer noch 2,46 Millionen weniger Wanderarbeiter gab als im gleichen Zeitraum 2019.
"Die Land-Stadt-Wanderung verlangsamte sich bereits vor der Pandemie und hatte ihren ersten Rückgang im Jahr 2020", sagte Dan Wang, der in Shanghai ansässige Chefökonom von Hang Seng China.
"Die Umkehrmigration wird sich in den kommenden Jahren beschleunigen, unter anderem, weil [die Arbeiter] sich keine städtischen Wohnungen leisten können und keinen Zugang zur städtischen Gesundheitsversorgung haben", sagte Wang. Ein wichtiger Faktor sei die Überalterung - der Anteil der Wanderarbeiter über 50 hat sich in den letzten 12 Jahren auf 26 % mehr als verdoppelt.
Schon jetzt zeigen die Daten, dass mehr Wanderarbeiter in der näheren Umgebung ihrer Heimat, in der gleichen Provinz, bleiben, anstatt in die größten Städte Chinas wie Peking oder Shanghai zu ziehen. (...)
Viele Migranten mussten jedoch unter harten Arbeitsbedingungen als Arbeiter in Fabriken oder neuerdings als Kuriere für Chinas E-Commerce-Giganten arbeiten. Ein strenges Wohnsitzsystem - "hukou" genannt - hinderte die Migranten am Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung und zu Schulen oder am Kauf von Eigentum in ihrer Arbeitsstadt. Der Zustrom von Menschen trug zur Erschöpfung der lokalen Ressourcen bei und veranlasste die Behörden, die Migranten auszuweisen.
Kleinere Städte wie Xi'an haben versucht, hochqualifizierte oder gut ausgebildete Arbeitskräfte anzulocken, indem sie Vorteile wie einen Aufenthaltsstatus anboten. (...)
Viele Menschen außerhalb der Großstädte nehmen Jobs in dieser sogenannten digitalen Wirtschaft an, da sie aus der Ferne für Unternehmen arbeiten können, die möglicherweise noch in den Stadtzentren ansässig sind.
Qingtuanshe, eine Plattform für die Stellensuche innerhalb der Alipay-Mobil-App, sagte, dass es im letzten Jahr einen signifikanten Anstieg der Stellenausschreibungen für Livestream-Moderatoren und ähnliche Jobs gegeben hat. (...)
Aus Berichten regierungsnaher Stellen geht hervor, dass die digitale Wirtschaft inzwischen mehr als ein Drittel des gesamten BIP ausmacht und dass im vergangenen Jahr mehr als 50 Millionen Menschen in ländlichen Gebieten Internetnutzer geworden sind. (...)
Der Arbeitskräftemangel bedeutet, dass es im Moment eine bestimmte Gruppe von Hightech-Talenten gibt, die "nur zwischen verschiedenen Unternehmen hin- und herspringen wollen", so Yin Zheng, Leiter des Produktmarketings bei Moka, einem auf die Personalbeschaffung spezialisierten Unternehmen. Das Unternehmen sagt, dass seine Kunden vor allem größere Unternehmen und große Technologiefirmen sind.
Für die Mehrheit der weniger gebildeten Arbeitnehmer kann ein Umzug in kleinere Städte oder zurück aufs Land die Lebenshaltungskosten senken. Allerdings sind die Gehälter niedriger, was zu Chinas wachsender Einkommensungleichheit beiträgt.
Analysten der chinesischen Investmentbank CICC stellten in einem Bericht in diesem Monat fest, dass auf dem unteren Arbeitsmarkt seit der Pandemie sowohl die Arbeitslosenquote als auch die Zahl der Arbeitssuchenden gestiegen ist, was auf eine Entkopplung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern hinweist. (...)

CNBC 28.6.2021

iPhone7 Launch, gesehen bei einer FAW Chinarundreise

Arbeiter:innenmangel: Wird das iPhone 13 nicht rechtzeitig fertig?

Apple lässt das iPhone 13 wieder mit Zulieferern bauen, doch die haben Schwierigkeiten, genügend Mitarbeiter:innen zu gewinnen.
(...) Um mehr Arbeiter:innen zu bekommen, werden höhere Prämien gezahlt, wenn Arbeiter:innen bei den Zulieferern anfangen. Angeblich liegt die Prämie im chinesischen Werk von Foxconn in Zhengzhou jetzt bei 10.200 Yuan – das wären umgerechnet rund 1.340 Euro.
Auch das Unternehmen Lens Technology soll seinen Startbonus von 5.000 auf 10.000 Yuan verdoppelt haben. Zudem werden Boni gezahlt, wenn Mitarbeiter:innen, die schon einmal bei dem Unternehmen tätig waren, wieder zurückkommen. Es handelt sich oft um Arbeiter:innen, die nur saisonal benötigt werden und die zwischen verschiedenen Firmen hin- und herwandern.

MacLife 7.8.2021

Update vom 26.8.2021:

In ganz China zeichnet sich ein Arbeitskräftemangel ab, da junge Menschen Fabrikjobs meiden und mehr Wanderarbeiter zu Hause bleiben. Dies ist ein möglicher Vorgeschmack auf die größeren Herausforderungen, die mit der Alterung und Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung auf die Unternehmen zukommen.
Da die weltweite Nachfrage nach chinesischen Waren in diesem Jahr sprunghaft angestiegen ist, sprechen Unternehmen von Schwierigkeiten, Arbeitsplätze zu besetzen, die von Handtaschen bis hin zu Kosmetika alles prodzieren.
Einige Wanderarbeiter sind besorgt, dass sie sich in den Städten oder Fabriken mit Covid-19 anstecken könnten, obwohl die Zahl der Fälle in China gering ist. Andere junge Menschen zieht es in die Dienstleistungsbranche, die besser bezahlt oder weniger anspruchsvoll ist.

Wall Street Journal 25.8.2021

Mehr Arbeitskräfte zu bekommen, war der "größte Engpass" in dem weitläufigen Fertigungskomplex des Apple-Zulieferers Foxconn Technology Group, so der stellvertretende Generaldirektor Wang Xue (...).
(...) Dem Bericht zufolge haben verschiedene Lokalregierungen in der zentralen Provinz Henan Arbeiter für die Verarbeitung als neue Mitarbeiter im riesigen iPhone-Montagezentrum am Rande von Zhengzhou mobilisiert. Dem Bericht zufolge haben die lokalen Regierungen 100 Busse gechartert, um "Bewerber aus ihren Gemeinden abzuholen und sie vor den Toren der Fabrik abzusetzen". (...)
Foxconn hat unterdessen die Geldprämien für neue Mitarbeiter auf ein neues Allzeithoch angehoben (...)[und] bietet einen Bonus von bis zu 12.700 Yuan (1.960 US-Dollar) für jeden neuen Arbeiter am Fließband(...).
In Zhengzhou sind die aktuellen Bonuszahlungen, die seit dem 15. August gelten, um 2.500 Yuan höher als die Prämien, die noch vor drei Wochen angeboten wurden. Das ist der höchste Stand seit der Inbetriebnahme des Foxconn-Produktionskomplexes im Jahr 2010, wie die South China Morning Post bei der Durchsicht früherer Stellenanzeigen feststellte. (...)

SMCP 26.8.2021

Update vom 10.10.2021:

Propagandabanner an U-Bahnhof in Shenzhen sollen Pendler im Hightech-Park inspirieren:

Kein Tang Ping (flach liegen)!

Siehe Beitrag vom 20.6.2021

Kein Fische Anfassen (Herumgammeln)

Siehe Beitrag vom 6.1.2021