Die Streikbewegung verstärkt den Druck für eine Gewerkschaftsreform in China

Diskussionsbeitrag zu den Auswirkungen der Streiks im Frühjahr 2010 auf die offiziellen Gewerkschaften - aus dem sechsten "Paket" von eigenen Übersetzungen, Oktober 2010.

Vortrag bei der Global Labour University Konferenz am 15. September 2010

 

Die Streikbewegung verstärkt den Druck für eine Gewerkschaftsreform in China

von
Prof. Lin Yanling und Dr. Ju Wenhui


Abstract: In den letzten Maitagen 2010 gab es im Werk Guangdong der Honda Auto
Parts Manufacturing (CHAM Guangdong) einen Streik. Um zu verstehen, welche Folgen
dieser Streik für die Gewerkschaften und die industriellen Beziehungen in China haben
wird, haben die Autoren Ende August das Werk CHAM Guangdong und andere damit in
Zusammenhang stehende Fabriken in Guangdong besucht. Die Untersuchung machte
deutlich, dass in dem Maistreik unterschiedliche Erscheinungen zutage traten, sogar auch,
was aktive und positive Reaktionen der örtlichen Behörden und Gewerkschaften betrifft.
Gegenwärtig durchleben die Gewerkschaften einige eher unauffällige, aber erzwungene
Reformen, die auf Reaktionen aufgrund kollektiver Aktionen der Arbeiter zentriert sind.
Gleichzeitig haben diese Aktionen grosse Debatten ausgelöst über die Probleme, mit
denen Gewerkschaften in China heute konfrontiert sind. Es ist jedoch nötig, darauf
hinzuweisen, dass die Reform der Gewerkschaften eng mit der Reform der gesamten
politischen Rahmenbedingungen in China zusammenhängt.


1. Der Hintergrund des Streiks von Cham Guangdong und seiner Erscheinungen


Ende Mai 2010 gab es eine Reihe von Arbeiterstreiks und Protesten in China. Im
Unterschied zu den Selbstmorden bei Foxconn in Shenzen ragt der Streik bei Cham am
17. Mai vor allem durch seine Qualitäten wie Rationalität, Solidarität und Stärke heraus,
die von den organisierten Arbeitern gezeigt wurden. Nach der Schlichtung und nach
Kollektiv-Verhandlungen haben diese Eigenschaften dazu geführt, dass ein Abkommen
zwischen Unternehmer und Beschäftigten erreicht wurde. Die Arbeiter erhielten um 500
Renminbi (RMB) erhöhte Löhne: von 1544 auf 2044 RMB monatlich, eine Erhöhung um
beinahe 33%. Die Erhöhung besteht aus der direkten Erhöhung des Monatlohns um 300
RMB, sowie der Erhöhung der Beihilfen um 66 RMB und der Erhöhung des Jahresbonus
von 134 RMB pro Monat.
Einige qualitative Besonderheiten können in den Aktionen der Arbeiter erkannt werden.
1.1 Der Streik fand in der Automobilindustrie statt – diese Art Streiks sind in der
Regel gewichtiger als Andere und erzeugen weitergehende Auswirkungen
Der Grund für solche größeren Auswirkungen besteht vor allem darin, dass die
Automobilindustrie derart verzweigte Produktionslinien hat, dass eine Kernfabrik oft
zweihundert bis dreihundert Zulieferfirmen hat, die allesamt keine Läger unterhalten.
Obwohl diese moderne Produktionsmethode einerseits die Effektivität der Produktion
versinnbildlicht, beinhaltet sie auch hohe Risiken: der Ausfall irgendeiner Zulieferfirma
wird die ganze Produktion lahmlegen. So ist beispielsweise CHAM Guangdong
Hauptlieferant für Getriebe für die Guangqi Honda Automobile Gmbh und die Dongfeng
Honda Automobile Gmbh. Der neuneinhalb Tage dauernde Streik führte dazu, dass beide
Firmen die Produktion vorübergehnd einstellen mussten und die Verluste beider beliefen
sich auf jeweils 230 Millionen RMB, beziehungsweise über 100 Millionen RMB. Ebenso ist
hervorzuheben, dass zwischen 70.000 und 100.000 Arbeiter der chinesischen
Automobilindustrie von dem Streik betroffen waren. (2)


1.2 Das gegenwärtig vorherrschende niedrige Lohnniveau in der
Automobilindustrie wird zum Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen
Unternehmen und Belegschaften


Es gibt Experten, die darauf bestehen, dass die Lohnpolitik CHAM Guangdongs die
Gesetzgebung über den Mindestlohn nicht verletzt hat. Das bedeutet, dass das Ziel des
Streiks für die Arbeiter es nicht war, die Mindestabsicherung ihrer legalen Interessen zu
sichern, sondern aktiv für eine Verbesserung ihrer Lage zu kämpfen. (3) Es ist allgemein
bekannt, dass die Arbeiter für ihre Arbeit Lohn wollen und der Unternehmer dafür
bezahlen sollte, dass sie arbeiten. Der Kern des Konflikts besteht darin, dass Beschäftigte
und Unternehmen oft keine Übereinkunft über die höhe der Löhne erreichen können. Die
allgemeine Situation bei CHAM Guangdong ist davon geprägt, dass die Arbeiter 10 bis 12
Stunden täglich arbeiten müssen, 28 Tage im Monat, um einen Lohn zu erreichen, der
dem örtlichen Mindestlohn entspricht. Ihre Einkünfte hängen im wesentlichen von
Überstunden ab. Erstaunlicherweise gehört das Lohnniveau von CHAM Guangdong
keineswegs zu den niedrigsten, und auch die Arbeitsbedingungen, die das Unternehmen
bietet, gehören zu den besseren.
Die makroökonomischen Statistiken zeigen, dass Chinas Gini-Koeffizient im Jahre 2006 bei
0.47 angelangt war, jenseits des Sicherheitsniveaus von 0.4. Der Anteil der
Arbeitseinkommen am Bruttosozialprodukt fiel von 57% im Jahre 1983 auf 37% im Jahr
2005. Eine andere Untersuchung weist nach, dass 23,4% aller Arbeiter in den letzten fünf
Jahren keinerlei Lohnerhöhung erhalten haben und dass sich 75,2% aller Arbeiter über
ungerechte Einkommensverteilung beklagten, wobei 61% aller Arbeiter die niedrigen
Arbeitseinkommen für besonders ungerecht hielten.
In der Autoindustrie Guangdongs sind es folgende drei Probleme, die von den Arbeitern
als die wichtigsten angesehen werden:
1. Das Lohnniveau ist zu niedrig (4) – und im Allgemeinen verbessert es sich nicht
entsprechend dem raschen Wachstum der Branche und dem starken Anstieg der
Unternehmensgewinne. Die Arbeiter beklagten sich darüber, dass es in den letzten
zweieinhalb Jahren nur dreimal eine Lohnerhöhung gab, die aber insgesamt nur
100 RMB ausmachte.
2. Die Arbeitszeit ist zu lang und sie müssen oft Überstunden leisten.
3. Die Lohnstruktur ist ungerecht – beispielsweise werden Beschäftigte für dieselbe
Arbeit unterschiedlich bezahlt, je nachdem, ob sie aus dem Ort stammen oder von
anderswoher kommen, und der Unterschied zwischen Arbeitern und Management
ist zu groß. (5)


1.3 Eine der allen jüngeren Streiks gemeinsamen Besonderheiten ist die
Organisiertheit der Arbeiter, die nicht durch die Gewerkschaften geschaffen
wurde, sondern selbsttätig


Die Tatsache, dass die Gewerkschaften, insbesondere die Betriebsgewerkschaften, in den
Streiks keine Rolle gespielt haben, zeigt dass die Gewerkschaften in China von ihren
Arbeitern, die sie schützen sollten, entfernt sind – was in allgemeinerem Sinne, das
Problem gewerkschaftlicher Positionierung wiederspiegelt. (6)
Tatsächlich hatten sich Arbeiter von CHAM Guangdong bei ihrer Gewerkschaft beschwert,
bevor sie irgendetwas unternahmen, aber die Betriebsgewerkschaft hat darauf nicht
reagiert.
Aufgrund ihres rasch wachsenden Bewußtseins von Rechten und Interessen hat die neue
Generation von Wanderarbeitern keine Ängste, ihre gesetzlich verbrieften Rechte zu
verteidigen, gleichzeitig aber finden sie keinen Weg, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen,
was unausweichlich zu Arbeitskonflikten führt und sie dazu nötigt, Aktionen selbst zu
organisieren. (7)
Dem Bericht zufolge gab es während des Streiks bei CHAM Guangdong keinerlei
unterstützendes Eingreifen der Gewerkschaften, sehr wohl aber einige repressive
Handlungen. Um den Streik nieder zu halten hat besipielsweise die örtliche Gewerkschaft,
die Shishan Trade Union, zum Mittel des physischen Zusammenstoßes mit den streikenden
Arbeitern gegriffen. Aufgrund ihrer Enttäuschung über die Gewerkschaften schlossen sich
die jungen Arbeiter zusammen und organisierten kollektive Aktionen, wobei sie die
Gewerkschaften öffentlich anprangerten, und sogar so weit gingen, die Auflösung der
Betriebsgewerkschaft zu fordern und eine eigene Gewerkschaft neu zu wählen. Sie
bestanden darauf, dass eine Betriebsgewerkschaft von der Belegschaft zu organisieren
und zu wählen sei. (8) Dies ist ein wichtiger Hinweis, wenn es um die
Gewerkschaftsreform in China geht.


1.4 Das Internet spielte bei dem Streik eine wichtige Rolle


Das Internet diente dazu, viele Informationen schnell und unbehelligt an soziale Gruppen
und Arbeiter zu verbreiten, es förderte und verbesserte die interaktive Kommunikation
zwischen den streikenden Arbeitern und der Außenwelt. Mehr noch: Das Internet bot ein
System freier Kommunikationskanäle, die dazu beitrugen, Meinungen zu sammeln und
auszutauschen, Beiträge aller Beteiligten einfliessen zu lassen, sowohl von anderen
Arbeitern, als auch des Managements und der Behörden. (9)
Von Beginn des Streiks bei CHAM Guangdong an wurden Nachrichten schnell auf die
Webseite gesetzt, auch was Informationen über Einzelheiten des Streiks betraf, wie etwa
die Gründe für den Streik, den Fortschritt der Dinge und die Ergebnisse. Durch die
Webseite konnten die Erwartungen der Arbeiter und auch die Reaktionen des
Unternehmens und der Gewerkschaften der Öffentlichkeit nachdrücklich nahegbracht
werden. Neben dem Internet nutzte die Belegschaft auch in großem Ausmaß SMS um
untereinander zu kommunizieren, den Streik zu organisieren, Zeitpunkt und Ort des
Streiks zu diskutieren und beschliessen. Auf der Webseite veröffentlichten sie auch den
„Offenen Brief der streikenden Arbeiter von CHAM Guangdong an soziale Gemeinschaften
und alle Arbeiter“, um mehr Unterstützung zu gewinnen. In gewissem Maße kann man
sagen, dass es die Nutzung des Internet war, die dazu führte, dass der Streik von CHAM
Guangdong zu einem Beispiel und einer Leitlinie für andere streiks in China wurde.


2. Die Reaktionen der Behörden und der Gewerkschaften


Da sich diese Streiks ohne die Führung durch die Gewerkschaften entfalteten, erhob sich
die Frage, was die Gewerkschaften für eine Rolle spielen sollten. In Guangdong gab es
einige führende Funktionäre der Behörden und der Gewerkschaften, die darauf beharrten,
dass diese Streiks ernstgenommen werden mussten und man auf sie reagieren musste.
Diese Reaktionen können unter drei Aspekten betrachtet werden.


2.1 Der erste Aspekt tritt in Reden führender Funktionäre der lokalen Behörden
zutage


In einer Videokonferenz am 12. Juni 2010 zum Thema ökonomischer Entwicklung in
Guangdong sprach Wang Yang, der Parteisekretär des Provinzkomitees Guangdong, der
auch Mitglied des Zentralkomitees der KP Chinas ist. Er betonte, dass ökonomische
Veränderung nicht lediglich auf die Punkte Anpassung industrieller Strukturen, Erneuerung
der Technologie, Reduzierung des Ressourcenverbrauchs und Umweltschutz begrenzt
werden kann, sondern auch die Veränderung der Haltung gegenüber Menschen bedeuten
muss, insbesondere innerhalb der Unternehmen. Wang unterstrich, dass die Regierung
schnell handeln sollte, um einen Mechanismus zur Konfliktkoordination in privaten
Unternehmen zu schaffen und eine aktive Rolle als Mediator zwischen Unternehmen und
Belegschaft zu spielen, die legalen Rechte beider Seiten beachten und schnell und
ernsthaft auf ihre Anforderungen reagieren sollte. Wang bestand auch darauf, dass das
Gesetz über demokratisches Management in Betrieben und das Gesetz über kollektive
Tarifverhandlungen so schnell als möglich fertig werden müssten und dass die örtlichen
Parteikomitees und Gewerkschaften sich beeilen sollten, ihre Organisationen in privaten
Unternehmen aufzubauen. Schliesslich hob Wang noch hervor, dass die
Betriebsgewerkschaften und ihre übergeordneten gewerkschaftlichen einheiten wirklich
den Arbeitern dienen sollten und ihre legalen Rechte und Interessen schützen. (10)


2.2 Der zweite Aspekt entstannt dem Inhalt der „Ergänzung des Gesetzes zum
demokratischen Management in Unternehmen in Guangdong (veränderter
Entwurf)“, worin eine aktivere und positivere Reaktion auf kollektive Aktionen
der Arbeiter ersichtlich wird


Das Ständige Guangdong-Komitee des Nationalen Volkskongresses hatte am 21. Juli eine
Sitzung, um das Gesetz zum demokratischen Management von Unternehmen in
Guangdong zu verändern, einen neuen Passus anzufügen über kollektive
Lohnverhandlungen und Konfliktschlichtung, um so dazu beizutragen, harmonische
industrielle Beziehungen aufzubauen. Beispielsweise legt der Entwurf nahe, die
Gewerkschaft solle die Belegschaft zu einem demokratischen Treffen aufrufen, auf dem
Delegierte ausgewählt werden, die dann die kollektiven Lohnabkommen mit dem
Unternehmen aushandeln – wenn mindestens ein Fünftel der Beschäftigten im
Unternehmen diese Forderung vertreten. Für die Unternehmen ohne Gewerkschaften solle
die lokale Gewerkschaftsföderation die Verantwortung übernehmen, die Arbeiter dabei zu
führen, ihre Delegierten demokratisch auszuwählen. (11)
Experten haben hervorgehoben, dass die Arbeiter in bisherigen Gesetzen niemals das
Recht hatten, kollektive Lohnabkommen auszuhandeln. Sowohl das Gewerkschaftsgesetz
von 1992, als auch das Arbeitsgesetz von 1994 und das Arbeitsvertragsgesetz von 2007
sahen dieses Recht ausschliesslich für die Gewerkschaften vor. Wenn dieser veränderte
Entwurf verabschiedet werden sollte, würde das Gesetz auf zweierlei Weise eine wichtige
Rolle spielen. Zum einen gäbe es dadurch eine normale, etablierte und rechtmäßige
Verfahrensweise, mit der die Arbeiter ein kollektives Lohnabkommen fordern können und
ihre Rechte und Interessen erhalten, eben nicht wie bisher nur durch die Mechanismen
kollektiver Aktion. Zum anderen gibt der Entwurf das Recht auf kollektive Verhandlungen
den Arbeitern zurück, sie können unter Anleitung der Gewerkschaften ihre eigenen
Delegierten wählen, was dazu beitragen wird, dass die Arbeiter in künftigen
Verhandlungen eine zentrale Rolle spielen werden. (12) Es gibt auch noch weitere wichtige
Festlegungen in dem veränderten Entwurf für ein Gesetz des demokratischen
Managements von Unternehmen in Guangdong. Beispielsweise bestimmt der Entwurf,
dass die kollektiven Verhandlungen in den Unternehmen stattfinden sollen und die
Regierung nur eine vermittelnde Rolle innerhalb dieser neuen Verfahrensweise zur
Berichtigung der Arbeitsbeziehungen spielen solle.
Kurz zusammengefasst: Der neue lokale Entwurf zeigt, dass die Regierung von
Guangdong versucht, die Arbeiter zu ermuntern, mehr das Mittel friedlicher kollektiver
Verhandlungen zu nutzen, um ihre Rechte zu wahren, anstelle eher destruktiver
kollektiver Aktionen. Diese neuen gesetzgeberischen Versuche in China sind auch ein
Hinweis darauf, dass die Regierung, nach dem Übergang zu marktorientierten industriellen
Beziehungen und um die immer intensiveren Konflikte zwischen Unternehmen und
Belegschaften einzudämmen, einen neuen Koordinationsmechanismus aufbauen muss,
der an kollektiven Verhandlungen orientiert ist. (13)


2.3 Der dritte Aspekt der offiziellen Reaktionen entstammt der neuen
Positionierung der Gewerkschaften selbst


Chen Weiguang, der Vorsitzende der Guangzhou Gewerkschaftsföderation, sagte auf eine
Frage eines Journalisten von Yangchengwanbo, die Gewerkschaften wüssten nicht immer,
welche Rolle sie bei der Koordination der Arbeitsbeziehungen spielen sollten und einige
ihrer Funktionäre würden sogar unbewusst die Rolle eines Mediators zwischen
Unternehmen und Belegschaft übernehmen.
Die jüngsten Ereignisse bei CHAM Guangdong und Foxconn haben eine wichtige Frage
deutlich gemacht: Auf welcher Seite stehen die Gewerkschaften? Zweifellos hat die
Guangzhou Federation of Trade Unions bereits ihre Lehren daraus gezogen.
Am 21. Juni gab es bei DENSO Guangzhou – einem führenden Lieferanten
fortgeschrittener Automobiltechnik, Systeme und Komponenten für alle grossen
Autohersteller der Welt – einen offenen Arbeitskonflikt. Da die Betriebsgewerkschaft das
Vertrauen der Arbeiter verloren hatte, konnte die Gewerkschaft gar nichts tun. Als die
Regierung die übergeordnete Gewerkschaft, die örtliche Gewerkschaft von Nansha, bat,
bei den Verhandlungen schlichtend und koordinierend zu wirken, machte Chen deutlich,
dass die Gewerkschaft, wenn sie die Rolle als Koordinator annähme, ihre Qualifiaktion
verlöre, für die Arbeiter da zu sein. Chen weigerte sich und schlug seinerseits vor, dass
das lokale Arbeitsbüro des Distriktes Nansha diese Verantwortung übernehmen solle. Aber
er gestand auch ein, dass unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen die Rolle der
Gewerkschaften von der Partei bestimmt würde und nicht von der Gewerkschaft selbst.
(14). Aufgrund dieser ihrer klaren Positionierung in diesem Konflikt, spielten sowohl die
örtliche Regierung als auch die Gewerkschaft eine aktive Rolle dabei, den Konflikt
erfolgreich zu beruhigen.
Am 25. Juni gab es eine kollektive Verhandlung zwischen Unternehmen und Belegschaft,
wobei beide Seiten schliesslich in einer freundlichen Atmosphäre gegen 17 Uhr ein
Abkommen erreichten. Beide Seiten äusserten anschliessend, dass sie die gegenseitige
Kommunikation stärken wollten und künftig gut zusammenarbeiten wollten. Das örtliche
Arbeitsbüro des Nansha Distrikts empfahl, Belegschaft und Unternehmen sollten jährlich
im April kollektive Verhandlunge über Lohnerhöhungen führen. (15)
Im Gefolge der raschen wirtschaftlichen Entwicklung werden die Arbeitsbeziehungen in
China zunehmend komplizierter und die Betriebsgewerkschaften stehen vor einer ganzen
Reihe neuer Situationen und Herausforderungen. Um künftig die Rolle der
Betriebsgewerkschaften zu stärken, verabschiedete der Allchinesische Gewerkschaftsbund
(ACFTU) am 26, Juli eine Resolution, als Reaktion auf die akuten Schwierigkeiten, denen
die Betriebsgewerkschaften gegenüber stehen.
Die neue Resolution zielt darauf ab, den Aufbau von Basisgewerkschaften anzustoßen, die
Verantwortung der Gewerkschaften zur Wahrung der Arbeiterrechte zu stärken und die
finanziellen Mittel für Betriebsgewerkschaften zu vergrößern, um sie besser anleiten zu
können. Die neuen Maßnahmen sind sehr praktischer Art und völlig angebracht.
Beispielsweise hebt die neue Resolution hervor, dass der Vorsitzende der Gewerkschaft
wirklich die Arbeiter vertreten solle, für sie sprechen solle und ihre Rechte wahren. (16)


3. Die unauffällig stattfindende Gewerkschaftsreform in China


Im Allgemeinen ist eine Gewerkschaftsreform am ehesten eine Eigenreform. Jedoch ist in
China die Frage der Gewerkschaftsreform verbunden mit der Haltung der Partei und der
Regierung – genauso, wie Cheng Guangwei eingestand, wird unter den gegenwärtigen
Bedingungen die Position der Gewerkschaft nicht von ihr selbst, sondern von der Partei
entschieden. Einige Forscher haben auch betont, dass die Rolle der lokalen Gewerkschaft
bei der Auseinandersetzung bei CHAM Guangdong zu weiteren Überlegungen darüber
geführt habe, welche Art Gewerkschaft wir in einer Marktwirtschaft wirklich brauchen,
welche Position sie bei Konflikten einnehmen sollte und welche Rolle Gewerkschaften
generell spielen sollten. (17) Betrachtet man sich die Reaktionen der Lokalregierungen,
örtlichen Gewerkschaften und des ACFTU, kann man zu dem Schluss kommen, dass die
Gewerkschaften in China bereits unauffälligen Reformen unterzogen worden sind, und
dass diese Reformen weiter vorangetrieben wurden oder die Gewerkschaften dazu
gezwungen waren, weiter zu gehen. Diese Reformen sind auch eine Reaktion auf die
kollektiven Aktionen der Arbeiter.


3.1 Die Reaktionen haben die jeweilige Rolle der Regierungen und der
Gewerkschaften in den Konflikten oder bei kollektiven Aktionen der Arbeiter
geklärt


Als Vertreter der Arbeiterschaft sollten die Gewerkschaften immer auf der Seite der
Arbeiter stehen. Es ist die Regierung, die die Plattform bieten muss, für den Dialog
zwischen Beschäftigten und Unternehmen und die die Konflikte schlichten soll. Diese neue
Form der Aufteilung von Verantwortung wurde bereits in der neuen Resolution des ACFTU
festgehalten, in der es völlig deutlich heisst: „Im Falle sich entwickelnder kollektiver
Aktionen sollten die Betriebsgewerkschaften zuerst die Arbeiter aufsuchen, um
Informationen zu sammeln und dann dem lokalen und dem höheren Parteikomitee
berichten und die Forderungen darstellen, mit dem Ziel, zu versuchen, eine Intensivierung
des Konflikts zu verhindern. Die Gewerkschaften sollten unter der Führung und
Koordinierung der Regierung und des Parteikomitees stehen, um die Rechte der Arbeiter
über die Mechanismen kollektiver Verhandlungen zu vertreten“. (18) In gewisser Weise
sind alle, die Partei, die Regierung und die Gewerkschaft, zur selben Schlussfolgerung
gekommen: Ohne eine klare Aufgabenteilung können sie gar nichts machen, wenn sie
Konflikten gegenüberstehen.


3.2 Die Reaktionen haben auch ein gemeinsames Bewußtsein zwischen Partei,
Regierung und Gewerkschaften gezeigt, dass sie sich sehr anstrengen müssen,
um das Problem der Entfremdung zwischen Arbeitern und ihrer Gewerkschaft zu
behandeln


Um ähnliche Streiks wie bei CHAM Guangdong zu vermeiden, müssen die Gewerkschaften
ausschliesslich die Stimme der Arbeiter sein und für ihre Rechte und Interessen stehen,
was bedeutet, dass die Gewerkschaften unter den Arbeitern tiefe Wurzeln schlagen
müssen, dass die Funktionäre der Gewerkschaften von den Arbeitern frei ausgewählt
werden müssen und dass die Arbeiter dazu ermutigt werden, ihre Gewerkschaften von
unten nach oben selbst aufzubauen. Bisher wurden die Gewerkschaften von oben nach
unten aufgebaut, was bedeutet, dass sie nicht von den Arbeitern aufgebaut wurden,
sondern, dass sie sich selbst aufbauten. So wurden die Forderungen und Erwartungen der
Arbeiter selten von den Gewerkschaften beachtet, die Gewerkschaften konnten das
Vertrauen der Arbeiter nicht gewinnen.
Zweifellos haben diese Art Gewerkschaften ihre Glaubwürdigkeit bei den Arbeitern
verloren und sie können nichts tun, wenn Konflikte ausbrechen. Glücklicherweise hat die
neue Resolution des AFCTU diesem Problem volle Beachtung geschenkt und
hervorgehoben, dass die Betriebsgewerkschaften von den Arbeitern organisiert werden
müssen, für die Arbeiter da sein müssen und die Rechte der Arbeiter verteidigen.
Li Yonghai, der Rechtsberater und früheres Mitglied des Sekretariats des AFCTU, sagte auf
Fragen eines Journalisten des Nanfengchuang, dass dann, wenn die Gewerkschaften nicht
für die Arbeiter einstehen, die Arbeiter eben andere Wege finden würden,
Umgehungswege, um ihre Rechte und Interessen zu wahren. Er sagte auch, dass wenn
die Gewerkschaften der Partei eben lange Zeit nicht für die Arbeiter einstehen würden, die
Arbeiter dann vielleicht Hilfe bei den „Zweiten Gewerkschaften“ suchen würden,
Gewerkschaften, die nicht von der Partei kontrolliert würden. (19) Es ist in der Tat leicht
einsichtig, dass es völlig richtig ist, die Arbeiter zu ermutigen, ihre eigenen
Betriebsgewerkschaften zu organisieren, und dieses ist der einzige Weg, wie man dazu
kommen kann, Gewerkschaften zu haben, die für die Arbeiter einstehen und wie man
sichern kann, dass die Gewerkschaften das Vertrauen der Arbeiter gewinnen können –
was seinerseits wiederum gewährleisten kann, dass die Gewerkschaften in so kritischen
Momenten wie bei CHAM und Foxconn wirklich eine Rolle spielen können.


3.3 Die Reaktionen der Gewerkschaften zeigten, dass sie sich der Tatsache
Gewahr wurden, dass die Errichtung eines normalen Mechanismus für
Lohnerhöhungen der einzige Weg ist, künftige kollektive Aktionen der Arbeiter
zu vermeiden, wie auch, um die Gewerkschaften neu zu positionieren und den
Weg freizumachen, ihre Rolle zu stärken.


Eine der Hauptaufgaben von Gewerkschaften in Marktwirtschaften ist es, ganz im Sinne
der Arbeiter kollektive Verhandlungen zu organisieren, mit den Unternehmern zu
verhandeln und kollektive Abkommen zu schliessen. Der Mechanismus für
Kollektivverträge hat in China bereits eine mehr als zehnjährige Geschichte, aber diese Art
Verträge wurden von der Regierung, von oben nach unten, geschlossen und
vorangetrieben, wodurch die Gewerkschaften ihre Rolle bei den kollektiven Verhandlungen
verloren und schliesslich auch der gesamte Mechanismus scheiterte.
Ein weiteres verwirrendes Problem der Betriebsgewerkschaften ist der „Rollenkonflikt“
ihrer Vorsitzenden, ein Konflikt, der aus einer tatsächlich doppelten Rolle entsteht: Zum
einen Vorsitzender der Gewerkschaft zu sein, zum anderen Mitglied des
Unternehmensmanagements. (20) Am 25. Mai haben das Ministerium für Arbeitskraft und
soziale Sicherheit (MOHRRS), der Allchinesische Gewerkschaftsbund (ACFTU) und die
Föderation chinesischer Unternehmen (CEC) das Rainbow-Programm
(Regenbogenprogramm) beschlossen, um die Rolle der Gewerkschaften in kollektiven
Verhandlungen zu klären. Innerhalb von drei Jahren sollen in allen Arten von
Unternehmen, in denen es bereits Gewerkschaften gibt, Mechanismen gefördert werden,
die kollektive Lohnverhandlungen führen.
Es versteht sich von selbst, dass die Gewerkschaften dabei dafür stehen müssen, dass die
Arbeiter wirklich an diesen Verhandlungen beteiligt sind, sonst wird auch dieser
Mechanismus erneut scheitern.
Li Yonghai betont: „Es ist eine Tatsache, dass die Gewerkschaften bereits viel getan
haben. Jedoch ist eine beträchtliche Anzahl von Arbeitern mit den Gewerkschaften und
dem, was sie getan haben, nicht zufrieden, das ist ebenfalls eine Tatsache. Worum geht
es also? Wenn die Gewerkschaften dabei versagen, den Arbeitern zu dienen und Stimme
ihrer Forderungen zu sein, werden diese unzufrieden sein, unabhängig davon, wieviel die
Gewerkschaften getan haben“. (21)
Ein Mechanismus für kollektive Lohnverhandlungen wird den Gewerkschaften helfen, wenn
er gewährleistet, dass die Gewerkschaften wirklich für die Arbeiter da sind und ihre
Forderungen vertreten, wenn sie bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen für die
Arbeiter erreichen wollen, so werden die Gewerkschaften auch die Möglichkeit haben, das
Vertrauen der Arbeiter zu gewinnen.


4. Schlussfolgerung


Die jüngsten kollektiven Aktionen haben bereits zu grossen Diskussionen in China geführt,
und beinahe alle Probleme, vor denen die Gewerkschaften stehen, wurden der
Öffentlichkeit durch Internet und Medien in vollem Umfang bekannt. Diese Diskussionen
befassen sich nicht nur mit den komplexen Dilemmatas, denen sich Gewerkschaften bei
Konflikten gegenübersehen, sondern stellen auch rationale Überlegungen über die Zukunft
der Gewerkschaften an. Es gibt nicht nur die überkommenen und verstaubten
Diskussionen über die Rolle der Gewerkschaften, sondern auch Betrachtungen der
erfolgreichen Erfahrungen westlicher Gewerkschaften. In gewissem Sinne sind die
gegenwärtigen Diskussionen Fortsetzungen früherer Debatten. Zweifellos ist die
Gewerkschaftsreform in China auf das engste verbunden mit der gesamten politischen
Reform.
Einige Wissenschaftler heben hervor, dass in Wirklichkeit die wichtigste Frage in dieser
Debatte, der Fokus der Gewerkschaftsreform, die Auseinandersetzung um den Übergang
und die Neupositionierung der Gewerkschaften weg von der Doppelrolle ist, auf der einen
Seite die Aufgaben der Partei erfüllen zu müssen, und auf der anderen Seite die
Interessen der Arbeiter zu vertreten. Die gegenwärtige Bewegung der Arbeiter hat die
Frage der Doppelrolle der Gewerkschaften bereits aufgeworfen. Jedoch wird die Rolle der
Gewerkschaften in China von den Entwicklungen der Einstellungen der Arbeiter, von der
Entwicklung des gesellschaftlichen sozialen Rahmens und der Ökonomie entschieden
werden. (22)
Anmerkungen
1 Wir danken Mr. Ming Xi, Ms. Gunda Boeker und Ms. Lan Xiao für ihre wertvolle Hilfe.
Obwohl die Friedrich-Ebert-Stiftung Beijing finanzielle unterstützung leistet,haben die
Autoren die volle Verantwortung für den Beitrag.
2 Diese Daten wurden von Liu Huilian gegeben, dem Vorsitzenden der Guangzhou
Automobile Trade Union, im Laufe des August 2010
4 Besuch bei CHAM Guangdong. Liu ist ausserdem Gewerkschaftsvertreter von Chinas 15.
Volkskongress, und er war an der gesamten Verhandlung und Schlichtung beteiligt.
3 Anita Chan:Labor unrest and role of unions,China Daily,Updated: 2010-06-18,
http://www.chinadaily.com.cn/opinion/2010-06/18/content_9987347.htm3
4 Ein Beschäftigter von CHAM Guangdong stellte seinen Lohnnachweis auf die Webseite.
Daran wurde deutlich, dass sein gesamter Monatslohn lediglich 1510 RMB beträgt. Davon
sind 675 RMB Grundlohn, 340 RMB verschiedene Zuschläge, 100 RMB
Anwesenheitsprämie, sowie 65 RMB Lebenshaltungskostenzuschlag, 250 RMB Mietbeihilfe
und 80 RMB Transportbeihilfe. Nach Abzug der Abgaben für soziale Sicherheit bekommt er
nur 1211 RMB auf die Hand. Wenn man die Kosten für wohnen, essen und andere
Grundkosten der Lebenshaltung einberechnet, bleiben ihm noch monatlich 456 RMB übrig.
Siehe dazu auch Southern Weekend, June 3, 2010.
5 siehe auch Banyuetan.com, July 5, 2010.
6 siehe auch Zaobao.com, June 3, 2010,
http://www.zaobao.com/special/china/cnpol/pages3/cnpol100603b.shtml4
7 Prof. Lin Yanling, Banyuetan.com, July 5, 2010.
8 Siehe “an Open Letter to Social Communities and All Workers from Delegation of Strike
workers of CHAM Guangdong”, June 6, 2010.
9 Siehe Lin Yanling, 30 Years of Reform and Opening up: The Evolution and Cultivation of
Chinese Workers’ Rights Awareness, Beijing. China Social Sciences Press, 2009.5
10 Siehe Wangs Rede auf der Videokonferenz über die wirtschaftliche Veränderung in
Guangdong, June 12, 2010,
http://www.sz.gov.cn/cn/sz/sz/xq/jqhd/201006/t20100613_1546822.htm
11 Lin XiaoZhao, “the Legislation to Regulate Collective Wage Negotiation in Guangdong,”
Firs Financial Daily, June 22, 2010.
12 China Labour Bulletin, “Review on the Democratic Management Act in Enterprises in
Guangdong (revised draft) ”, http://www.clb.org.hk/schi/node/1301271
13 China Labour Bulletin, “Review on the Democratic Management Act in Enterprises in
Guangdong (revised draft) ”, http://www.clb.org.hk/schi/node/13012717
14 Zhangwei, “Workers in 80% enterprises will be able to bargain equally with their
employers within 3 years”, Yangchengwanbo, August 14, 2010.
15 Xiao sisi, “DENSO Nansha conflict satisfactorily resolved and wage raised by 800 RMB”,
Xinhua.net (Guangzhou), June 27, 2010.
16 Zheng Lili, “A review on ACFTU’s resolution on strengthening trade unions’ role”,
Worker’s Daily, July 29, 2010.
17 Zheng Meng, “Face rationally, treat legally”, caijing.com.cn,June 4, 2010.
18 ACFTU, “ACFTU’s resolution on strengthening trade unions’ role”, July 26, 2010. 9
19 Li Yonghai,”Calls for strong trade unions” Nanfengchuang, June 26, 2010.10
20 Eine telefonische Befragung im Jahr 2009 zeigte auf, dass es sehr üblich ist, dass die
Vorsitzenden von Betriebsgewerkschaften zwei Funktionen haben. Siehe dazu auch Liu
Xiaogang, Zhang Qinglei, “A survey on the double roles of chairmen of trade unions”,
Chinese Workers’ Movement, p. 31, 4-2010.
21 Li Yonghai,”Calls for strong trade unions” Nanfengchuang, June 26, 2010
22 Xu Xiaohong, “The double role of trade unions in China”, paper for the 60th aniversary
of Trade Union Law, August,2010.
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AUTOREN:
Lin Yanling
Professor
Dept. of Industrial Relations
China Institute of Industrial Relations (CIIR)
yllin2002@hotmail.com
No.45 zengguang Road, Haidian District, Beijing, China 100048
und
Ju Wenhui
Doctor
Dept. of Public Administrations
China Institute of Industrial Relations (CIIR)
juwh@263.net
No.45 zengguang Road, Haidian District, Beijing, China 100048
Übersetzung Manfred Kreuter